: Der Online-Rausch
Cannabis im Netz zu bestellen geht schnell und ist derzeit noch unkompliziert. Das hat auch eine neue Zielgruppe hervorgerufen: Leute wie Paul, die zuvor gar nicht mehr konsumiert haben
Von Ilka Kreutzträger
Gorilla Glue 4, Cinderella Kush und Tropicana Cookie. Die drei Sorten hat er ausgesucht. „Keine 15 Minuten hat es gedauert und dann war alles bestellt“, erzählte der Freund neulich, nennen wir ihn Paul. Es war seine erste Online-Gras-Bestellung. Na ja, korrekt heißt es: Er hat sein erstes Rezept für medizinisches Cannabis eingelöst und ist jetzt Patient. Nur als solcher bekommt man in Deutschland legal Cannabisblüten im Netz.
Ein Gang zur Ärztin ist nicht nötig, geht alles online und ist kaum aufwendiger, als Hosen zu bestellen. Deswegen boomen Online-Anbieter wie Bloomwell, Dr. Ansay oder Candoc. Paul bestellte bei Candoc, und mit seinen 15 Minuten war er offenbar noch langsam. Candoc jedenfalls begrüßt alle auf seiner Website mit dem Satz: „Werde Cannabis-Patient:in in 3 Minuten.“ Aktuell wird gleich noch ein „Winter-Deal“ angeboten: 0 Euro Rezeptgebühr. Kostet ihn dort zehn Euro. „Seit ich da bestellt habe, werde ich mit E-Mails von denen überhäuft“, sagt Paul und zeigt einige. Preissturz, Erinnerungen an fällige Nachbestellung, Gutscheine.
Die Bestellung startet mit einem Fragebogen. Aus den 13 zur Auswahl stehenden Symptomen hat Paul sich für „Schlafstörungen“ entschieden: „Hat man ja immer mal, Stress hätte ich auch nehmen können“, sagt er. Es stehen auch zum Beispiel Tourette-Syndrom, Krebserkrankung oder wiederkehrende Kopfschmerzen zur Auswahl. Weiter geht es mit Fragen nach bestehenden Erkrankungen, nach Medikamenten, die man einnimmt, nach Angststörungen oder Wahnvorstellungen. Kreuzt man Angst oder Wahn an, geht es nicht weiter, man solle einen Arzt konsultieren, heißt es. Allerdings kann man so oft die Kreuze ändern, bis man die richtige Antwort gefunden hat.
Als Paul alles korrekt im Sinne der Plattform ausgefüllt hat, ist es 13.30 Uhr. „Deine medizinischen Daten werden zur Überprüfung an unseren Arzt weitergeleitet“, schreibt Candoc ihm, bestellen konnte er bereits. Paul entscheidet sich für eine Apotheke in Leipzig. „Mir hat das Logo von denen gefallen“, sagt er. Am gleichen Tag um 22.30 Uhr kommt die Mail: „Dein Rezept wurde genehmigt“ und wurde direkt an die ausgewählte Apotheke geschickt.
Die bieten mehr als 50 Sorten an – sortiert nach Wirkweise von „belebend“ über „entspannend“ bis „sedierend“. „Sedierend kam nicht infrage, da kann ich dann ja gar nichts mehr machen“, sagt er. „Belebend“ wollte er auch nicht: „Ich hatte früher beim Kiffen oft Herzrasen, das will ich nicht wieder.“ Also entschied Paul sich für drei entspannende Sorten zu je fünf Gramm.
Der Schwarzmarkt ist übrigens nicht eingebrochen, seitdem es die Möglichkeit mit dem medizinischen Cannabis auf Rezept gibt, und gleichzeitig dürfte auch nicht der Anteil der Menschen, die auf medizinisches Cannabis angewiesen sind, zufällig zeitgleich sprunghaft angestiegen sein. Hervorgebracht wurde dagegen eine neue Zielgruppe, die aus Leuten wie meinem Freund Paul besteht. Leute wie er – 41, Familienvater, in Vollzeit berufstätig, backt gern Brot und Pizza, guckt abends im Oma-Sessel sitzend Netflix-Serien und geht regelmäßig laufen – haben nicht vorher an der Hamburger Hafentreppe Cannabis in Tütchen gekauft und wechseln jetzt zum medizinischen Cannabis aus der Apotheke. Leute wie Paul haben gar nicht mehr konsumiert und nutzen jetzt die Möglichkeit, bequem und sicher mal wieder was zu rauchen oder Kekse zu backen.
Diesen Schluss legen auch Zahlen nahe, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte veröffentlicht hat. Demnach wurden im ersten Quartal 2025 insgesamt 37 Tonnen Cannabis legal eingeführt, das war viereinhalbmal so viel wie im Vorjahreszeitraum. Die Verschreibungen durch die Krankenkassen sind nicht annähernd so stark gewachsen. Recht eindeutig also, dass diese Ungleichheit auf Selbstzahler mit Privatrezept wie Paul zurückgeht.
„Ich kiffe eigentlich gar nicht mehr“, sagt Paul. Früher ja, gern und viel mit Freunden. Heute ist er eh Nichtraucher und es kommt für ihn nicht infrage, auf dem Schwarzmarkt Dope zu kaufen. Auch wenn das in Hamburg, wo er lebt, gar kein Problem wäre. „Aber das ist illegal und außerdem habe ich keine Ahnung, was da dann für ein Dreck drin ist“, sagt er.
Anders beim medizinischen Cannabis, das ist sauber und die Preise sind denen auf dem Schwarzmarkt sehr ähnlich. Paul zahlte für 15 Gramm insgesamt rund 150 Euro. Einmal hat er davon Haschkekse gebacken, mit Freunden hat er auf einer Radtour eine Tüte geraucht. Zwölf Gramm hat er immer noch zu Hause liegen, in braunen Apotheker-Behälterchen.
Die aktuelle Bundesregierung will die einfache Art der Bestellung abschaffen. Cannabis soll, so will es ein Entwurf zur Änderung des Medizinal-Cannabisgesetzes, künftig nur noch nach persönlichem Kontakt zwischen Arzt und Patient verschrieben werden dürfen.
Auch dazu hat Paul von Candocs bereits Mails bekommen samt einer Petition zum unterschreiben: „Stoppen wir das neue Cannabisgesetz – für gerechte Patientenversorgung“. Paul hat nicht unterschrieben.
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