Der „Ochsenfrosch“ quakt nicht mehr

Beleidigungsverfahren gegen den Schriftsteller Ralph Giordano eingestellt / Oberstaatsanwalt Schacht fürchtete ein Tribunal gegen die deutsche Nachkriegsjustiz  ■ Aus Frankfurt/Main Heide Platen

Der Schriftsteller Ralph Giordano ist gestern vom Frankfurter Amtsgericht nicht dafür verurteilt worden, den Dortmunder Oberstaatsanwalt Klaus Schacht einen „emotionslosen Ochsenfrosch“ genannt zu haben, dem „die Untat ins Gesicht geschrieben stand“. Der sich solchermaßen beleidigt fühlende Staatsdiener zog seine Klage zurück. Dafür sah sich Giordano in seinem Element, Kameras vorne, Kameras hinten. Sein Weg in den Gerichtssaal im Erdgeschoß des Gebäudes E war mit Mikrofonen gespickt. Giordano war sich sicher: „Ich rechne mit einer Verurteilung.“

Eine Stunde später war der angeklagte Autor klüger. Schacht ließ durch seinen Nebenklagevertreter, Rechtsanwalt Felix Dörr, wissen, daß er der Öffentlichkeit überdrüssig sei. Er ahne, daß es in dem Verfahren nicht mehr darum gehen werde, daß er persönlich angegriffen worden sei, sondern darum, daß es „zu einer Art Abrechnung mit der deutschen Justiz über die Bewältigung der Verbrechen der NS-Zeit“ kommen werde. Dörr: „Dafür steht mein Mandant nicht zur Verfügung.“ Der wolle sich besser nicht zum „Instrument machen“ lassen, „um Ihnen, Herr Giordano, die Plattform zu bieten, Vorwürfe gegen die Justiz zu erheben“, die „in einem völlig anderen Umfeld anzusiedeln sind“. Er wolle auch nicht „zu dem Eindruck beitragen, die Justiz verfolge keine Nazis oder Neonazis, dafür aber deren Opfer und Kritiker“.

So wird der „Ochsenfrosch“, den Giordano am 9. Januar 1993 in der Frankfurter Rundschau in einer Buchrezension assoziierte, ungesühnt bleiben. Giordano bezog sich auf den optischen Eindruck, den Schacht während eines Fernsehauftrittes auf ihn gemacht hatte, und war auf Konfrontation eingestellt. Er schrieb damals weiter: „Das nehme ich, für eventuelle Folgen, ganz auf meine Kappe.“ Das Buch handelt von dem Sterben des 64jährigen Martin Finkelgruen, der 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt zu Tode geprügelt und getreten wurde, seinem von Zeugen benannten Mörder, dem heute im Altersheim lebenden SS-Aufseher Anton Mallot, und der Geschichte der Straflosigkeit dieser Tat im Nachkriegsdeutschland. Der Enkel, Peter Finkelgruen, arbeitete diesen Justizskandal nach Einstellung der Ermittlungen durch den zuständigen Oberstaatsanwalt, Klaus Schacht, in „Haus Deutschland oder die Geschichte eines ungesühnten Mordes“ (Rowohlt, Berlin, 1992) auf. Rezensent Giordano zog das Fazit: „Es heißt, der Mensch kann nur einmal sterben. Martin Finkelgruen, wie unzählige seiner Leidensgenossen, wurde zweimal getötet.“ Dies sei „die schändliche Geschichte einer schändlichen Justiz“ mit Kausalität zu „Hoyerswerda, Hünxe, Rostock und Mölln“. Das Haus in Solingen, die Synagoge in Lübeck brannten erst später.

Giordano wertete den von dessen Vorgesetzten abgesegneten Rückzug von Schacht für sich „wie einen Freispruch“ und für jenen als „das Allerletzte“, einen „Akt der Schwäche, daß er nicht imstande ist, dieses Verfahren, das er selber angestrengt hat, auch durchzustehen“. Der Frankfurter Staatsanwalt Job Tilmann zeigte sich zufrieden. Er selber hätte eine solche Anzeige sicher nicht erstattet: „In unserem Beruf muß man gewisse Toleranzen haben.“

Die sich im Saal drängenden ExponentInnen aus Kultur und Politik, die sich mit Giordano solidarisch erklärt hatten, zeigten sich unisono einigermaßen zufrieden. Michel Friedman, Vorsitzender der Frankfurter Jüdischen Gemeinde, äußerte sich nicht zu der Vermutung, daß der Justizminister von Nordrhein-Westfalen, Rolf Krumsiek, der Entscheidungsfindung seines Untergebenen zwecks Schadensbegrenzung nachgeholfen haben könnte: „Mir liegt es nicht, jetzt noch nachzutreten.“ Er hoffe, daß die Diskussion über die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und die Nachkriegsjustiz jetzt da ausgetragen werden, „wo sie hingehört. In der Öffentlichkeit – und nicht im Gerichtssaal.“