Der Obstdöner von WonderWaffel: Soße, Topping, Schnickedöns
Die Waffel ist das heilendste Gericht der Welt. Bei WonderWaffel verkauft man sie als „Obstdöner“ mit viel Chichi. Ein Besuch.
Als wir den Laden betreten, läuft „Moves like Jagger“ in einer Jazzversion. Der Plastikbaum in der Ecke trägt Kirschblüten, die Gäste Fellkragen, die Jacken bleiben an. Auf einem Holzschild steht: Deutschland. Es gibt sehr viele Farben hier. Allen geht es gut. „Imagination at work“ ist in geschwungener Schrift auf einen der Tische geschrieben. Einzelne Mütter mit Kindern, die eher nicht miteinander reden, sitzen daran. Sie starren mit offenen Mündern auf einen Bildschirm, auf dem der Hashtag #socialfood beworben wird und das Wunder, das man in diesem Laden kreieren kann: die WonderWaffel.
„Heureka!“, möchte man rufen. Welch ein großer Schritt für die Menschheit diese Erfindung ist. Ein Obstdöner! Denn so wird die WonderWaffel auch beworben. Außen Waffel, innen Obst. Wunderbar. Wissen wir doch, die Waffel ist das beste Gericht der Welt. Ein Trostpflaster, nicht nur in der Kindheit, die beste Beschäftigung in der kalten Jahreszeit. Die Waffel schafft Wohlbefinden, sie macht friedlich. Und sie ist ein mega Margen-Versprechen für die Gastronomie. Ob auf dem Weihnachtsmarkt, dem Kuchenbasar in der Kita oder dem Streetfood-Court.
Und die gesundheitsfördernden Effekte von Obst sind nicht von der Hand zu weisen. Aber so wie der Döner von seinen Soßen lebt, ist auch die WonderWaffel nicht bloß Obst in Teigherzen gepackt, sondern vor allem viel Schoko und Eis und so.
Erfunden wurde der Obstdöner aka WonderWaffel 2011 in Berlin. Von den Brüdern Topcuoğlu und einem Freund, sie alle sind heute Mitte 30. Zunächst gab es das Gebäck als Streetfood auf dem Straßenfest Karneval der Kulturen, 2012 eröffnete dann das erste Ladengeschäft in der Adalbertstraße in Kreuzberg, ein Traum in Pink und Hellblau. Und der war so erfolgreich, dass ein Jahr später gleich nebenan die nächste Filiale eröffnete.
Ein Teenie-Date-Lokal
Dort sind wir jetzt. Es ist ein Teenie-Date-Lokal, das sieht man. Weil man alles, was es hier gibt, so gut auf Instagram zeigen kann. Tee aus Einmachgläsern, kein Alkohol weit und breit, Mini-Eiswaffeln zum Cappuccino, übervolle Shakes und eben die Waffeln, die man in komplizierter Zutatenzusammenstellung kreieren darf beziehungsweise muss: Soße, Topping, Schnickedöns.
„Wie schmeckt denn die Proteinwaffel?“, fragt meine trendbegeisterte Begleitung, und die Frau am Tresen ruft: „Cem, wie schmecken denn die Proteinwaffeln?“ Und der Kollege, der die Waffeln zubereitet und hier Waffelista genannt wird, sagt strahlend, dass die voll lecker wären. Also her damit. Mit Cheesecake-Eis und Raffaello-Topping, das Motto hier ist: „viel“, der Überblick ist längst verloren. Schließlich bekommt man ein fettes, buntes Ding auf einem Teller, auf den mit Erdbeersoße ein Herz gemalt und mit Schokosoße der Vorname geschrieben ist. Zack, Foto, und ab auf Insta damit.
Die WonderWaffel ist eine Protzwaffel, so voll, so schön, so personalisiert, dass man mit ihr angeben will. Das ist genial, so ist sie zum Erfolg geworden. Das Logo „Zertifiziertes Vollmitglied Deutscher Franchiseverband“ steht auf der Website, mittlerweile gibt es über 40 Filialen in deutschen Malls und Fußgängerzonen, unter anderem in Hamburg-Wandsbek, Osnabrück, Augsburg und Düsseldorf.
Wobei: Letztere Filiale wurde 2016 geschlossen, nachdem auf der Facebook-Seite der Betreiber wohl die PKK bejubelt wurde. Dafür gibt es vier Filialen in der Schweiz und seit 2019 sogar einen WonderWaffel-Shop in einer Mall in Houston, Texas. Es ist eine deutsche Erfolgsgeschichte.
Eine tausendjährige Erfolgsgeschichte
So wie Waffeln überhaupt eine Erfolgsgeschichte sind. Die Idee, Teig zwischen heißem Metall in Form zu bringen, ist mehr als tausend Jahre alt, Belege für Waffeleisen aus dem 9. Jahrhundert fand man in Belgien und Frankreich. Es gibt die unterschiedlichsten Varianten: Oblaten, Hippen, Hohlwaffeln, Hörnchen, Belgische Waffeln. Laut dem Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm ist das Wort „Waffel“ in den Niederlanden seit dem 15. Jahrhundert, in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert bekannt.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Man kann den Nachbarn nicht genug dafür danken. Nicht nur in Belgien gehört die Waffel neben Pommes zum Nationalgericht. In Norwegen ist die Hohlhippe an Weihnachten nicht wegzudenken, dass sie „Krumkake“ genannt wird, ist ein schöner Nebeneffekt für den deutschsprachigen Raum.
Aber braucht die Waffel eigentlich ein Wunder oder nicht einfach nur ein bisschen Puderzucker? Da scheiden sich die Geister. Allein auf chefkoch.de gibt es derzeit „1.009 schöne Waffelrezepte“. Zum Beispiel die „Waffeln de luxe“ von „TinyBaby“, die allen Ernstes Vanillepuddingpulver mit in den Teig rührt. Klassischer ist da ein Rezept mit über 2.000 Bewertungen, das sich „Geheimes Waffelrezept“ nennt: mit Margarine und Mehl und Milch und Rum und natürlich Eiern.
Lütticher und Brüsseler Waffeln werden hingegen aus Hefeteig gemacht, was – Kenner werden da selbstverständlich zustimmen – keine gute Idee ist. Die Hefe eröffnet zu viel Geschmacksraum und zerstört die kindliche Bedürfnisse erfüllende Knautschigkeit einer richtigen und guten Waffel. Außen etwas knusprig, innen etwas matschig. Nicht zu dunkel, nicht zu hell, ein bisschen wabbelig.
Außen Waffel, innen Muffin – die Muffle
Aber die Entwicklung der Waffel ist eben auch ein Seismograf für eine Gesellschaft in der „viel hilft viel“ gilt. Neben den Franchise-Brüdern von WonderWaffel hat sich in Berlin noch eine andere Erfindung breit gemacht, die sogenannte Muffle, die der Hersteller Tatas als „außen kross wie eine Waffel und innen fluffig weich wie ein Muffin“ beschreibt.
Technisch gesehen gleicht sie einer Bubble Waffle aus einem Waffeleisen mit Ausbuchtungen, wie sie aus Asien bekannt ist. Tatas klappt sie nicht, sondern rollt sie ein und füllt sie ebenfalls, allerdings nicht mit schnöden Erzeugnissen der Süßigkeitenindustrie, sondern mit feinem Zeug wie Vanille-Espuma oder Salzkaramell.
Bisschen andere Zielgruppe. Aber wie die WonderWaffel übertrieben voll. Also keine richtig gute Nachricht für wahre Waffelfreunde: Die Waffel, sie ist heute vor allem Geschmacksträger. Was ein bisschen im Kontrast steht zu dem Spruch auf dem Tisch, an dem wir sitzen: „All you need is Waffles.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin