: „Der Norden ist ein guter Platz für uns Sinti“
Drei der Opfer von Hanau waren Roma. Warum das nicht unwichtig ist und ob die Stimmung sich gegenüber Sinti und Roma verändert hat, spricht Roxanna-Lorraine Witt, Sintezza und Aktivistin
Roxanna-Lorraine Witt, 27, ist in Minden geboren. In Bremerhaven hat sie Marine Biotechnologie studiert. Bis Januar dieses Jahres war sie Leiterin des Referats für Bildung beim Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma.
Interview Juliane Preiß
Frau Witt, Sie haben nach dem Anschlag von Hanau Medienberichte kritisiert, in denen gesagt wurde, die Opfer hatten alle Migrationshintergrund. Wieso?
Roxanna-Lorraine Witt: Ich möchte auf eine Hierarchisierung der Wertigkeit von Leben hinweisen, ohne sie selbst vorzunehmen: Warum wurde in den Medien berichtet, die Getöteten haben alle Ausländeranteil, das sind Migranten? Die Romni Mercedes Kierpacz, zum Beispiel, war eine Deutsche. Deren Familienmitglieder standen schon auf den Deportationslisten für Konzentrationslager der Nazis. Und im Moment ihres Todes wird ihr als Überlebende des Holocaust der deutsche Status aberkannt. Das ist ein Unding.
Was stört Sie genau?
Roma-Sein und Deutsch-Sein schließt sich nicht aus, es ist die Lebensrealität der deutschen Rom*nja und Sinte*zze. Wenn die Gruppen der deutschen Sinte*zze und Rom*nja nicht als Deutsche anerkannt werden, nachdem sie seit 700 Jahren das Miteinander in diesem Land und in Europa mitgeprägt haben, nicht mal in ihrem Tod, wer dann? In den Medien wird der Verlust nicht-weißen Lebens als minderwertiger Tod porträtiert. In diesem Fall diente es zudem dazu, das Gefahrenpotenzial auf eine bestimmte Gruppe zu reduzieren, doch die Wahrheit ist: Ob mit oder ohne „Migrationshintergrund“, alle Menschen mit dunklem Haar oder gebräunter Haut können potenzielle Opfer sein, und dafür steht der Tod einer Deutschen in Hanau. Aber nicht nur das.
Was noch?
Ich war in Bremen auf der Demo einen Tag nach dem Anschlag und habe neben anderen Aktivistinnen das Mikro ergriffen. Ich war fassungslos, als später bei Ansprachen etliche Gruppen und Minderheiten aufgezählt wurden, aber nicht Rom*nja und Sinte*zze. Noch mal: Meine Intention ist es nicht, Opfer zu hierarchisieren, aber uns gar nicht zu erwähnen, geht eben nicht.
Haben Sie Angst?
Natürlich haben wir Angst. In den ersten Tagen nach dem Anschlag war ich voller Todesangst. Mittlerweile habe ich das Ganze schon etwas verkraftet, aber etwas bleibt. Es gibt Menschen, die denken über ihre Flucht aus Deutschland nach und machen konkrete Pläne.
Würden Sie sagen, dass die Anfeindungen gegenüber Sinte*zze und Rom*nja in Deutschland stärker wurden?
Das würde ich so nicht sagen. Die Gewalt- und Vernichtungsfantasien in den einschlägigen rechten Netzwerken finden Sie von 2002 oder von gestern. Der Unterschied ist aber: Mit dem Aufkommen der AfD hat sich etwas geändert. Mit ihrer Sprache hat die AfD wieder etwas salonfähig gemacht, was vorher tabuisiert war. Rassismus gegen uns war aber immer da. Und das wird sich auch nicht ändern, bis wir eine kontinuierliche Aufklärung haben. Das Grundproblem, warum wir Sinte*zze und Rom*nja immer die „ewigen Fremden“ bleiben, ist, dass die Leute nie etwas von uns hören. Wenn man Minderheiten in Geschichtsbüchern und Unterricht nur unter ferner liefen behandelt, dann muss man sich auch nicht wundern, wenn die Mehrheitsgesellschaft diese Menschen als Fremde wahrnimmt. Die Medien tragen da übrigens ihren Teil zu bei.
Inwiefern?
In den Medien werden sehr viele Lügen über unsere Minderheit verbreitet. Es gibt mittlerweile unendlich viele frei zugängliche Publikationen, von der Bundeszentrale für politische Bildung oder auch dem Zentralrat der Sinti und Roma. Wenn Journalist*innen dann nur eine oberflächliche Google-Recherche betreiben und sich nur die Dinge rauspicken, die in ihr vorurteilsbehaftetes Weltbild passen, um Artikel über uns zu verfassen oder Reportagen zu drehen, dann muss ich davon ausgehen, das man die Sinti und Roma bewusst in ein schlechtes Licht rücken will. Menschen wie ich, die Sinti oder Roma sind, studiert haben und politisiert sind, bekommen keine Anfragen für Reportagen von Bild oder Pro7. Das erweckt den Anschein, dass wir überhaupt nicht existieren.
Sind Sie selbst betroffen von Alltagsrassismus?
Ich bin privilegiert, für eine Sintezza habe ich relativ weiße Haut, habe meine braunen Haare blond gefärbt. Ich erfahre Rassismus auf anderen Stufen, wenn ich mich zu meiner Minderheit bekenne.
Wie?
Beleidigungen ziehen sich durch all meine Lebensbereiche, als Schülerin habe ich 450-Euro-Jobs im Verkauf nicht bekommen, weil gesagt wurde: Wir wollen hier keine Leute, die stehlen. Beim Daten, wenn ich sage: Ich bin Sintezza, kommt: Mit dir kann ich mich nicht treffen, du wirst sowieso zwangsverheiratet.
Sie haben in Bremerhaven Marine Biotechnologie studiert, sind dort häufig. Wie würden Sie die Situation im Norden einschätzen?
Der Norden ist ein guter Platz für uns Sinti und Roma. Die Verbände in Bremen und Bremerhaven arbeiten sehr eng zusammen und haben sich hier gut etabliert. Die Region ist sozialdemokratisch geprägt, das macht sich auch in der Stimmung gegenüber uns bemerkbar. Natürlich gibt es auch Neonazis im Norden, aber die wurden sehr deutlich ausgegrenzt. Ich habe in Bremerhaven immer das Gefühl, hier gibt es Leute, die bereit sind, mich zu schützen. Trotzdem gibt es institutionellen Rassismus.
In welcher Form?
Ich habe während meines Studiums an Algen geforscht. Ich war der glücklichste Mensch der Welt, das wollte ich immer tun, den Klimawandel aufhalten durch erneuerbare Technologien. Auf meiner ersten Forschungsreise wurde ich von meinem Dozenten gefragt, woher ich „wirklich“ komme. Als ich sagte, ich sei Sintezza, wusste dieser mir wohlgesonnene Mensch, der den höchsten Grad an möglicher akademischer Bildung besitzt, nicht, was das sein soll, bis er dann mit einem Mal „Ach, Zigeuner!“ ausrief. Da ist mir bewusst geworden, dass in dieser Welt für mich kein Platz ist, bis sich die Verhältnisse ändern.
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