piwik no script img

Der Nord-Süd-Tunnel ist nicht durchbohrbar

■ Bernd Breitkopf (BI-Westtangente) zum geplanten Zentralbahnhof an der Lehrter Straße/ Ökologisch bedenkliche Grundwasserabsenkung wäre nötig/ Güterzüge kämen aus eigener Kraft nicht wieder in Gang/ Chaos auf den Bahnsteigen

Berlin. Der Senat und die Bundesregierung bevorzugen bei der Eisenbahnplanung einen neuen »Umsteigebahnhof« an der Lehrter Straße. Bernd Breitkopf, seit vier Jahren bei der BI-Westtangente und Student für Geographie, Verkehrswesen sowie technischen Umweltschutz, erläutert, aus welchen Gründen das Prestige-trächtige Großprojekt scheitern könnte.

taz: Herr Breitkopf, Sie kommen zu dem Schluß, daß der verschämt genannte »Umsteigebahnhof« nicht nur aus Gründen einer schwer zu verwirklichen Nahverkehrsanbindung unrealistisch ist. Warum?

Bernd Breitkopf: Die Bahn könnte nicht so steil bergauf fahren, wie es von dem unterirdischen Lehrter Zentralbahnhof notwendig wäre. Die Höhe zwischen dem Bahnsteig in Ost-West-Richtung und dem in Nord-Süd-Richtung würde über 20 Meter betragen. Über 30 Meter Höhenunterschied müßten die Züge bis zum oberirdischen Nordring im Wedding bewältigen. Die Reichsbahn sieht das Problem genauso.

Ist das der einzige Grund, an dem der Umsteigebahnhof Ihrer Ansicht nach scheitern könnte?

Nein. Es ist noch völlig unklar, ob die Reisenden die Bahnsteige schnell genug verlassen können. Alle fünf Minuten spuckt ein Zug 400 Leute aus. Die sollen dann im Fahrstuhl nach oben zu einem anderen Zug oder zur S-Bahn. Stellen Sie sich ein zehnstöckiges Hochhaus vor, alle fünf Minuten kommen 400 Leute mit Gepäck, wollen hoch, von oben wollen welche herunter. Das Chaos bricht aus.

In den 100stöckigen Wolkenkratzern von New York schaffen das die Aufzüge auch.

Wenn die Fahrstühle direkt vom Bahnsteig starten, müßten die Bahnsteige irre breit sein. Oder die Reisenden müßten mit Rolltreppen erst in eine andere Ebene und von dort aus weiter zum gewünschten Bahnsteig verteilt werden.

Was ist das Problem?

Es wäre nicht im Sinne des Erfinders. Von der Verteilerebene müßten die Reisenden hin- und herlaufen. Die Orientierung wird schwieriger, die Fahrgäste verlieren Zeit.

Warum könnte man nicht mit genügend Fahrstühlen vom unteren Bahnsteig zum oberen fahren?

Wenn die Fahrstühle direkt von den Bahnsteigen starten, müßten sie bis zu 20 Meter breit sein. Insgesamt plant der Senat fünf Bahnsteige. Der Bahnhof würde breiter sein, als ein Fußballfeld lang ist. Ein Bahnsteig selbst wäre 400 Meter lang. Detaillierte Pläne, ob die unterirdische Eisenbahn-Kathedrale überhaupt machbar wäre, gibt es nicht.

Der Senat behauptet, daß der Bau des geplanten Nord-Süd-Tunnels, ohne den der Umsteigebahnhof sinnlos wäre, unproblematisch sei. Er soll einfach durchgebohrt werden.

Nein auch hier wird es größere Probleme geben. Damit in den Tunnel, also das Bohrloch, kein Grundwasser nachsickert, muß er mit Luft unter Druck gesetzt werden. Diese Technik versagt aber im Bereich des Spree-Urstromtals. Durch den Boden ziehen sich kleine Luftporen, sogenannte Ausbläser. Die Druckluft würde durch die Poren entweichen — die Baustelle würde voll Wasser laufen.

Dann wird das Wasser abgepumpt.

Dafür müßte das Grundwasser abgesenkt werden, der ökologische Eingriff wäre erheblich. Das würde den Bezirk, Tiergarten-Fans und Umweltverbände, auf den Plan rufen — doch Verkehrssenator Haase möchte gegen den Tunnelbau so wenig Widerstand wie möglich. Sonst würde der Tunnel möglicherweise nicht mehr vor den Olympischen Spielen im Jahre 2000 fertig werden. Ein Tunnel in »offener Bauweise« — also von oben ausbuddeln, Eisenbahnröhre einsetzen, wieder zuschütten — wäre auch keine Alternative. Wieder müßte das Grundwasser abgesenkt werden...

...und der Baubeginn des Regierungsviertels, das zum großen Teil im Spreebogen entstehen soll, müßte hinausgezögert werden.

Ja. Eine andere Möglichkeit wäre, den Tunnel tiefer zu bauen, denn in 15 oder 20 Meter Tiefe gibt es diese Poren nicht mehr. Doch das Gefälle der Gleise würde noch größer. Falls ein Güterzug stehenbliebe, würde er bei dieser Steigung aus eigener Kraft nicht wieder in Gang kommen. Das Interview führte Dirk Wildt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen