: Der Mord gegen den Mord?
■ Große Erlösungsgeschichte in der Tötungsmaschine: Dead Man Walking von Tim Robbins
Diese Geschichte, das wird sich herumgesprochen haben, ist nicht erfunden. Monatelang stand Dead Man Walking, das autobiographische Buch von Schwester Helen Prejean auf der Bestsellerliste der New York Times. Die katholische Nonne (Susan Sarandon) arbeitet für ein Sozialprojekt in einem schwarzen Stadtteil von New Or-leans. Der Ruf ihrer Barmherzigkeit trägt weit – bis ins Staatsgefängnis von Louisiana, wo der verurteilte Mörder Matthew Poncelet seit sechs Jahren seine Hinrichtung erwartet. Er bittet die Nonne um Beistand. Poncelet ist kein Sympathieträger. Sean Penn gibt ihn als nervösen, denkfaulen und überheblichen Verlierer, dem alles zuzutrauen ist. Sein Verbrechen ist ungeheuerlich, seine Schuld aber nicht zweifelsfrei erwiesen. Die Begegnungen mit diesem Mann werden für die Schwester zur Prüfung.
Doch Tim Robbins schildert mehr als das Drama von der Guten und dem Bösen. Seine umfassende Darstellung folgt der Nonne nicht nur ins Gefängnis, wo Todeskandidaten kaum mehr als ein Verwaltungsaufwand zu sein scheinen und selbst für den Anstaltsgeistlichen eine Routine der Seelenrettung darstellen. Sie führt den Zuschauer zur fassungslosen Mutter von Poncelet, aber auch zu den Eltern der Mordopfer, die nicht verstehen können, daß sie einem Monstrum hilft.
Die Kamera begleitet die Beladene auf ihren Fahrten. Vorbei an verlorenen Feldarbeitern unter grauem Himmel, an den Plakatwänden mit dem Aufruf zur Erbarmungslosigkeit mit allen Gesetzesbrechern. Aus dem Radio tönen die Hetzreden rechtsradikaler Phone-in-Shows. God's own Country droht dem Haß zu erliegen.
Robbins, der bereits mit seinem Regiedebut, der Wahlkampfsatire Bob Roberts, sein Interesse für die politische Wirklichkeit kundtat, geht in seinem zweiten Film weiter. Mit Dead Man Walking gelingt ihm die differenzierte Analyse der gesellschaftlichen Moral am Extremfall des Capital Punishment. In seiner Antwort setzt er auf die Wiederbelebung christlicher Werte.
Anders als Kieslowskis Kurzer Film über das Töten, der sich auf die Bestandsaufnahme beschränkt, ist Dead Man Walking auch eine Erlösungsgeschichte. Nachdem Poncelets Gnadengesuch abgelehnt wird, beginnt in den Gesprächen mit der Nonne seine Wandlung. Poncelet erkennt sich, und er gibt sich zu erkennen. Der „Abschaum“ der Hetzreden ist ein menschliches Wesen.
In diesen letzten Zusammenkünften gelingt es den Schauspielern, die Grenze zwischen Darstellung und Realität aufzuheben. Mit einer Überblendung von Bluttat und Exekution bezieht Robbins erst am Ende Stellung. Der Mord gegen den Mord bedeutet Kapitulation. Mit schweren Farben und großen Gefühlen inszeniert er eine Tragödie über die Todesstrafe – einen, dank der hervorragenden Schauspieler, ernsten und großen Film.
Hilmar Schulz
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