Der Melodienmacher

Mit Elke Naters und den Kollegen vom Pool hat Sven Lager das Internet voll geschrieben, jetzt erscheint sein Roman „Phosphor“: ein Buch, voll mit Musik, Drogen und Mädchen

von NADINE LANGE

Die Graffiti im Treppenhaus sehen aus wie Tattoos, die vergangenen Lieben gewidmet sind. Bald sollen sie entfernt werden, denn das ganze Haus wird renoviert. Die meisten Mieter sind schon ausgezogen, jetzt wirkt das Haus einsam und ein bisschen traurig.

Auch die junge Familie aus dem zweiten Stock wird in ein paar Wochen ihre Sachen packen und die Schöneberger Altbauwohnung verlassen. Für Ersatz ist schon gesorgt: Ein kleines Haus, mitten in der Stadt. Mitten in Bangkok. „Es war ein alter Traum von uns, mal eine Zeit lang im Ausland zu leben. Jetzt hatten wird die Chance, ihn zu verwirklichen“, sagt Sven Lager.

Sven Lager ist Schriftsteller. Ein Jahr lang werden er, seine Frau Elke Naters und ihre Kinder Anton und Luzie in Thailand leben. Die Eltern wollen dort in Ruhe schreiben: Sie an ihrem dritten Roman und er an seinem zweiten. Doch vorher muss sich Lager noch ein bisschen um sein kürzlich erschienenes Debüt, „Phosphor“, kümmern. Gerade war er in einer Buchhandlung um nachzusehen, wo das kleine grüne Taschenbuch einsortiert wurde – in der Popecke. Der 34-jährige Autor ist einverstanden: „Ich sage ja, ja, ja, wenn ich zur Popliteratur gezählt werde, denn mir fällt auf, dass die Gegner der Popliteratur Langweiler sind.“

Für Lager bedeutet „Popliteratur“ vor allem, dass die Bücher sehr gegenwartsbezogen sind. Und ganz wichtig: Aktuelle Musik muss vorkommen. Beides ist in „Phosphor“ zweifellos der Fall. Die Handlung spielt im heutigen Berlin, durch dessen Straßen, Clubs und U-Bahnen ein namenloser Ich-Erzähler streift. Für die Musik ist sein Freund DJ Mikro zuständig, der ihm oft Kassetten aufnimmt. Der Held hört sie auf seinem „MelodyMaker“, dem Anrufbeantworter. Neben technoiden Klängen spielen auch Filme, Bücher und allerlei Drogen eine große Rolle als Ausgangspunkte für verschrobene Gedankentürme und abseitige Dialoge. Und natürlich gibt es auch ein Mädchen, in das der Held sich verliebt.

Ein Jahr lang hat Sven Lager an „Phosphor“ geschrieben. Eine anstrengende Zeit: Das Geld war knapp, und die Kinder waren klein. Zu seinem Buch kam er meist nur abends und nachts, weil Elke Naters nur vormittags schreiben kann und er sich in dieser Zeit um Luzie kümmerte. Sie war damals erst ein Jahr alt. Inzwischen ist sie drei und geht wie ihr fünfjähriger Bruder in eine Kindertagesstätte – in Bangkok muss noch eine gefunden werden. „Leider gelten für Kinder Lesen und Schreiben nicht als richtige Beschäftigungen. Wenn man einen Nagel in die Wand haut, erkennen sie das als Arbeiten an, vor dem Computer sitzen nicht“, sagt Lager lächelnd und streicht sich über seine hellen, millimeterkurz geschorenen Haare.

Vor seinem jetzigen Beruf hat der Sohn einer schwedischen Malerin und Kunstlehrerin und eines Münchner Kunstprofessors „schon alle Jobs der Welt“ gemacht“. Mit 20 Jahren kam er nach Berlin, studierte zunächst Sprachen und Geschichte. Ende der Achtzigerjahre brach er ab und machte bei Radio 100 Satirebeiträge, Filmkritiken und eine nächtliche Musiksendung. Nachdem der Sender 1991 bankrott machte, arbeitete Lager mal als Filmvorführer, mal baute er Kinos aus. Auch eine Phase als Bildhauer war dabei. Nebenher hatte er sich seit den Achtzigern am Schreiben probiert – meist Tagebuchartiges, aber auch Texte im Stil von William S. Burroughs oder Edgar Allan Poe.

Richtig ins Rollen kam die Sache jedoch erst durch Elke Naters, mit der Lager seit über fünf Jahren verheiratet ist. Als sie an ihrem ersten Buch, „Königinnen“, schrieb und er Auszüge las, war er begeistert: „Ich habe gedacht: Elke kann das und sitzt gleich nebenan. Das muss auch bei mir klappen.“ Und es klappte, obwohl er anfangs mehr Seiten wegwarf, als er behielt. Seither gibt es im Schriftstellerhaushalt einen regen Text- und Kritikaustausch. Lager sieht Elke Naters als seine beste Leserin, „weil sie völlig anders schreibt und völlig anders denkt“. Wenn sie eine Stelle nicht versteht, überdenkt oder überarbeitet er sie noch mal.

Die beiden haben inzwischen auch ein gemeinsames Buchstabenkind – zumindest virtuell. Es heißt www.ampool.de und lebt seit Juni letzten Jahres im Internet. Auf der salonartigen Website schreiben neben Lager und Naters noch 20 eingeladene AutorInnen und JournalistInnen wie Christian Kracht, Georg Oswald, Helmut Krausser oder Rebecca Casati. Zudem gibt es noch ein öffentliches Forum: den „Loop“. Gefüllt sind die Seiten mit einer wilden Mischung aus kurzen Geschichten, Statements, Listen und Zitaten: Man erfährt einiges über Schuhkäufe der Schreibenden, findet aber auch interessante Reflexionen über das Rauchen oder das Reisen. Und wenn man Glück hat, erzählt Sven Lager vom letzten Besuch bei seiner Homöopathin, „die nach vielen verschiedenen Mitteln endlich das richtige für mich gefunden hat: Phosphor. Mein nächstes Buch heißt: Juwelen.“

Lager ist noch nicht zufrieden mit dem Pool/Loop, für den er extra gelernt hat, Internetseiten zu programmieren. Zwar schätzt er das unzensierte und tagesaktuelle Schreiben im Netz, doch möchte er mehr als eine rein literarische Webseite. Deshalb sollen bald mehr genrefremde Gäste eingeladen werden. Öffentlich nicht einsehbar arbeiten die Pool-AutorInnen und drei Loopster derzeit an einem weiteren Lager/Naters-Projekt im Netz: „The Buch“. Die Seite funktioniert ähnlich wie „Pool“, nur können die Beiträge nachträglich geändert werden. Lager nennte es eine „organische Anthologie“. Sie soll im nächsten Frühjahr erscheinen – es gibt viel zu tun in Bangkok.

Sven Lager liest heute um 23 Uhr zusammen mit Elke Naters und Christian Kracht im Roten Salon der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz