: Der Mann im Schatten
„Arbeiten gehen kann ich immer noch“, sagt der deutsche Olympia-Schwimmer Steffen Zesner ■ Von Thomas Winkler
Ich weiß, was ich machen muß, um hier vorne mitzuschwimmen“, sagt Steffen Zesner, „und wenn ich das nicht mache, brauche ich mich nicht zu quälen.“ Wenn er eines Tages aufhört, das weiß er, wird er zwar weiter Sport machen, „vielleicht Fußball und Krafttraining, Laufen, Radfahren, einfach um fit zu bleiben“, aber Schwimmen hätte dann „keinen Reiz“ mehr, „das ist dann nur noch eine Sportart unter anderen“.
Immerhin eine, in der es nur wenige gab, die erfolgreicher waren als Zesner. Auch wenn kaum jemand etwas davon mitbekam. Als 19jähriger holte er seine erste internationale Medaille – bezeichnenderweise in der Staffel. Und das sollte erst mal so bleiben. Während er in Einzelrennen allzuoft hinter den Erwartungen zurückblieb, schwamm er über 4x100 oder 4x200 Meter Freistil getrieben vom „Extrakick Mannschaft“ fast immer schneller. Erst bei der EM im letzten Jahr in Wien holte er seinen ersten internationalen Einzeltitel, den aber über 400 Meter. Und über 1.500 Meter kraulte er auf den dritten Platz. Und plötzlich war Steffen Zesner ein Phänomen. Weltweit gab und gibt es keinen sonst, der gleichzeitig Weltklasse war von 200 bis 1.500 Meter.
Daß er erst spät den Langstreckler in sich entdeckte, ärgert ihn nicht, denn im anderen Fall hätte er niemals die Staffeln geschwommen, seine wahre Liebe. Als Schlußschwimmer der 4x200m Freistil-Staffel hat er sein Erfolgserlebnis in Atlanta bereits gehabt, auch wenn er danach „schon etwas sauer“ war, weil ihm beim Anschlag 15 Hundertstel zu Silber fehlten. Aber Zesner ist nicht gierig. Nicht Gold zu gewinnen, läßt ihn nicht am Leben verzweifeln. Und das wird sich auch nicht ändern, wenn es über 1.500m Freistil heute nacht nichts mit einem vorderen Platz werden sollte.
Atlanta sind die dritten Spiele für den Berliner, nur sehr wenige Schwimmer schaffen das. Und dann ausgerechnet er, der nicht nur einmal ans Aufhören gedacht hat. „Als die Mauer aufging, habe mich sofort damit auseinandersetzen müssen. Beim SC Berlin wurden alle entlassen. Ein ehemaliger Trainer arbeitet jetzt im Bestattungsinstitut.“ Und vor vier Jahren stellte sein Arbeitgeber, das Berliner Hotel Interconti, den gelernten Wirtschaftskaufmann vor die Wahl: Kündigung oder ab jetzt voll arbeiten, auch im Schichtdienst, und „da geht natürlich nichts mehr“. Aber immer hat er sich für den Sport entschieden. Auch weil ihm Olympia „sehr viel bedeutet“, sagt er. „Es hatte im Kalten Krieg eine große Bedeutung. Nach den Boykotten war es den Leuten 1988 scheißegal, ob sich die Politiker streiten. Entscheidend war, daß sie mit allen zusammen und nicht nur mit der Hälfte Olympische Spiele machen wollten. Es ist schön, daß die Leute da aufgewacht sind.“
Wie fast jeder in diesem Land weiß, hat Zesner eine Freundin. Die Frau ist zehn Jahre jünger als er und heißt van Almsick. „Die Presse fragt mich immer, ob das ein Problem für mich ist, daß Franziska so im Rampenlicht steht und ich nicht. Ich weiß gar nicht, wie die darauf kommen, ich finde das sehr angenehm.“ Also hat es sich Zesner im Schatten ganz bewußt gemütlich eingerichtet, lebt von der Sporthilfe, hat einen Beratervertrag mit dem Olympiastützpunkt Berlin und trägt bei Wettkämpfen die Mütze eines Motorradherstellers. „Ich bin zufrieden mit dem, was ich bisher verdient habe. Aber es steht natürlich in keinem Verhältnis zu Franziska oder zu Tennis oder Fußball. Sicher eine schöne Sache, wenn das Konto voll ist, aber wenn man kein Privatleben mehr hat und verfolgt wird von irgendwelchen Leuten, das ist doch nicht mehr schön.“
Steffen Zesner ist jetzt 28 Jahre alt, und sagt das er nicht nur so. Die Erfahrungen in Atlanta dürften ihn nur bestätigt haben. „Ich will mit Gold unsterblich werden“ – so was käme ihm nie über die Lippen. Zesner sagt: „Arbeiten gehen kann ich immer noch.“
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