Der Mann, der gerne auspackt

Aufdecken, was den Kunstbetrieb im Innersten zusammenhält: So hat man Marius Babias aus seiner Zeit als Kritiker in Erinnerung. Jetzt hat er die Seite gewechselt und ist seit Januar frisch bestallter Leiter des Neuen Berliner Kunstvereins

VON KITO NEDO

Ein massives schwarzes Bücherregal thront in Marius Babias’ neuem Büro über den Ausstellungsräumen des Neuen Berliner Kunstvereins (NBK). Die unteren Regalfächer sind leergeräumt, nur die durchhängenden Regalböden zeugen von der Last der schweren Kunstkataloge, die sie jahrelang getragen haben. Die oberen Reihen sind hingegen noch prall gefüllt mit überlassenen Kunstbüchern aus der Dienstzeit von Alexander Tolnay, der im vergangenen Dezember nach dreizehneinhalb Jahren als Leiter des 1969 gegründeten Vereins Ende Dezember in den Ruhestand ging.

Das Regal, sagt Babias, könne man durchaus behalten, doch ob der Raum, aus dessen Fenster man auf Teile des Dorotheenstädtischen Friedhofs, den Eingangsbereich der katholischen Pax-Bank und das Bettenhochhaus der Charité blickt, überhaupt sein Büro bleiben wird, weiß er noch nicht. In den kommenden Wochen soll die räumliche und organisatorische Struktur der Institution an der Chausseestraße einer gründlichen Prüfung und Neuorganisation unterzogen werden.

Im Moment jedenfalls, so erklärt der 1962 in Rumänien geborene Kritiker und Ausstellungsmacher, sei er neben Dingen wie dem Antragschreiben oder der Suche nach einem günstigen Telefon-Provider vor allem damit beschäftigt, die internen Abläufe des ihm übertragenen Vereins erst mal kennenzulernen. Demnächst wird dann wieder mehr Zeit für seine Hauptaufgabe hier sein: die Entwicklung und Umsetzung künstlerischer Projekte. Bis zur ersten von Babias organisierten Präsentation mit der Frankfurter Künstlerin Silke Wagner dauert es ohnehin noch ganze sechs Monate. Die gerade startende Gruppenausstellung „Zeitgenössische Fotokunst aus Ungarn“ und die darauf folgende Einzelschau der Berliner Künstlerin Christiane Möbus wurden noch unter der Ägide von Tolnay geplant.

Als im vergangenen Sommer bekannt wurde, dass der studierte Politologe und Literaturwissenschaftler das zuletzt etwas eingeschlafen wirkende Haus an der Chausseestraße übernehmen würde, galt das als eine kleine Überraschung. Denn in Berlin ist Babias, der mit zwölf Jahren nach Deutschland kam und seit Mitte der Achtzigerjahre in Berlin lebt, vor allem als Kritiker für das Stadtmagazin Zitty bekannt, wo er zwischen 1994 und 2001 als Redakteur arbeitete.

Wer sich in den Neunzigerjahren auf Vernissagen herumtrieb, traf unweigerlich auf den Mann mit den markanten Gesichtszügen, der sich als dandyesker Stilmensch durch den Neuberliner Abbruch-Barock bewegte. Seine bissigen Interviews für die Stadtillustrierte oder auch die Kunstzeitschrift Kunstforum International wurden wegen ihrer direkten Ansprache diskutiert. Als Kritiker und wacher Begleiter des Untergrunds genoss er großen Respekt, ähnlich wie vielleicht der im letzten Jahr verstorbene taz-Redakteur Harald Fricke – eine andere Leitfigur jener Jahre.

Besonders der Wille, sich von falschen Rücksichten freizuhalten, brachten Babias den Ruf eines geradlinigen Kritikers ein, der sich gern und oft mit Institutionen und den grauen Eminenzen des Betriebs anlegte. Ganz und gar unverbissen unterhielt er sich just zu dem Zeitpunkt mit der Pornoproduzentin Teresa Orlowski über das Auspacken, als Christo und Jeanne-Claude gerade den Reichstag einpackten, den Galeristen Max Hetzler fragte er danach, ob er nun mit Art Consulting im Bauboom oder als Galerist mehr Geld verdiene, der Sammler Erich Marx musste sich die Spitze gefallen lassen, mit der Überführung seiner Sammlung in eine Stiftung Steuern sparen zu wollen. Dem Künstler Thomas Kapielski hingegen brachte Babias ein Öko-Marzipan-Croissant zum Frühstück mit. Heute wirkt Babias bedächtig, doch klare Formulierungen und die geradlinige Frage schätzt er nach wie vor – bei sich und seinen Gesprächspartnern.

Erst als vor zwei Jahren unter dem Titel „Berlin. Die Spur der Revolte“ eine Art Abrechnung mit dem Berliner Kunstgeschehen der Neunzigerjahre in Buchform erschien, fiel auf, dass sich Babias die erste Hälfte der Nuller-Jahre eigentlich mehr außerhalb als innerhalb der Stadt bewegt hatte. Gegen Ende der Neunziger er begonnen, an der renommierten Frankfurter Städelschule Kunsttheorie und Kunstvermittlung zu unterrichten, ab 2001 leitete er gemeinsam mit dem Kurator Florian Waldvogel das Projekt „Zeitgenössische Kunst und Kritik“ der Kokerei Zollverein in Essen, das jedoch 2003 aus undurchsichtigen Gründen auf Betreiben der Kommune ein vorzeitiges Ende fand.

Zwei Jahre später kuratierte er die Gruppenausstellung das „Das Neue Europa“ in der Wiener Generali Foundation sowie die Ausstellung „European Influenza“ des Berliner Künstlers Daniel Knorr im Rumänischen Pavillon auf der 51. Biennale in Venedig. Zu sehen gab es dort allerdings nichts, den Besuchern wurde dafür ein umfänglicher Reader zur europäischen Pandemiegeschichte in die Hand gedrückt. Vielleicht war es der distanzierte Blick von außen, der ein Buch wie „Die Spur der Revolte“ ermöglichte. Ohne falsche Selbstbeweihräucherung passiert das Kunstgeschehen der letzten fünfzehn Jahre Revue – eine einmalige Lektüre.

Dass er nun als Kunstvereinsleiter und nicht als Kritiker oder Unterrichtender in die Hauptstadt zurückkehrt, ist für ihn weniger ein Problem als für manche Außenstehende, die den Rollenwechsel vom Institutionskritiker zum Institutionsleiter nun misstrauisch beäugen. Das Schreiben habe den kritischen Blick auf die Welt geschult, sagt Babias und fügt hinzu: „Warum sollte man mit so einem Blick nicht auch bessere Ausstellungen machen können?“

30. Januar, 19 Uhr, NBK, Chausseestr. 128/129, „Quo vadis Kunstvereine?“ Gesprächsrunde über Gegenwart und Zukunft der Kunstvereine in Berlin mit Gabriele Horn, Kunstwerke, Leonie Baumann, NGBK, und Marius Babias, NBK. Moderation: Christina Wendenburg, Dozentin an der Berliner Technischen Kunsthochschule BTK