: Der Linken hat es die Sprache verschlagen
■ In den deutschen Auseinandersetzungen um Golfkrieg und neue Weltordnung ging und geht es um mehr als nur ein eng umgrenzbares Problem/ Ein Jahr nach dem Golfkrieg ziehen der Pädagoge Micha Brumlik und der Historiker Dan Diner Bilanz
Vergleichbar nur mit der Debatte um die Wiederbewaffnung in den 50er Jahren hat der „Zweite Golfkrieg“ (Micha Brumlik), also der um die Befreiung Kuweits von der irakischen Besetzung, die Emotionen in Deutschland hochgehen lassen. Über die panischen, bisweilen geradezu hysterischen Reaktionen, insbesondere innerhalb dessen, was man im weitesten Sinne und mit alem Vorbehalt als „Linke“ bezeichnen könnte, ist viel geschrieben worden. Das Ausland nahm diese Reaktionen, die sich bis in die offizielle deutsche Politik hinein verlängerten und die, neben den Grünen, auch bei der SPD de facto zur Parteilinie geworden sind, teils verwundert, teils besorgt, teils erschreckt zur Kenntnis und fragte sich, nach der gerade erfolgten Vereinigung zumal, „Was ist mit den Deutschen los?“
Die Bilanz ist niederschmetternd
Nun haben sich zwei Autoren, die einander ziemlich nahestehen, weil sie beide einem ähnlichen kulturellen und politischen Kontext entstammen, mit jeweils einem Buch des Themas aus der Rückschau noch einmal angenommen. Sowohl Micha Brumlik wie Dan Diner kommen politisch aus dem Umfeld des Sozialistischen Büros (Offenbach), und beide arbeiten heute in der Redaktion der Zeitschrift 'Babylon‘. Als Juden nehmen sie in gewisser Weise eine ex-zentrische Position zu Deutschland und seinen Fragen ein. Daß sie nicht im Mainstream schwimmen, auch dann nicht, wenn es der des linken Juste-milieu ist, das haben sie in der Zeit des Golfkrieges unter Beweis gestellt, als sie gegen den pazifistischen Common sense der „Linken“ und Grünen, der Friedensbewegung und der Sozialdemokratie Stellung bezogen. Ihrem mutigen und engagierten, gemeinsam mit vereinzelten anderen vorgebrachten Einspruch ist zu danken, daß — wenigstens in Frankfurt — der pazifistische Konsens nicht reibungslos durchging. Die Bilanz, die sie, jeder auf seine Weise und jeder mit einem jeweils unterschiedlichen Akzent, vorlegen, ist niederschmetternd.
Brumlik schreibt am Ende seines Buches: „Die Hoffnung [der Juden U. H.], einmal, dieses eine Mal, möchten ,die‘ Deutschen nach alledem rückhaltlos, geschlossen und ohne jedes Finassieren an der Seite der Juden stehen, sie erfüllte sich nicht, und kein Dialog, kein Trialog vermag diese ohnehin eitle Hoffnung wiederzubeleben. Aber während es den Juden therapeutisch zugestanden wird, sich vor der Gefahr eines weiteren Holocaust fürchten zu dürfen, bringen jene Deutschen, die sich im Einsatz für den Frieden wähnten, jenen wenigen wie Wolf Biermann oder dem ehemaligen Frankfurter Oberbürgermeister Hauff, die aus Einsicht in die Geschichte des Antisemitismus und aus einer ernstgenommenen Verantwortung für die deutsche Geschichte heraus mit Israel solidarisch waren und deshalb den Krieg nüchtern beurteilten, nur Haß, Verachtung und Ekel entgegen“. Es klingt zunächst ganz harmlos, wenn Diner formuliert: „Bis zur Vereinigung ist es der Ost-West-Gegensatz gewesen, der die alte Bundesrepublik an den Westen band. Die Bonner Republik hatte ein existentielles Interesse an der Präsenz der Amerikaner auf deutschem Boden.“Aber die Konsequenzen reichen weit. Nüchtern konstatiert Diner, daß einerseits die neue deutsche Stärke, die der wiedervereinigten Bundesrepublik zugewachsen ist (oder ihr zuwachsen wird), gerade weil sie von der politischen Reflektion ausgeschlossen bleibt, schließlich nahezu zwangsläufig zu einer mehr oder weniger offenen Abkoppelung vom politischen Westen führen wird. Wobei, das sei an dieser Stelle eingeschoben, unter Westen bei Brumlik wie bei Diner die Wertegemeinschaft verstanden wird, die sich auf die Ideale der bürgerlichen Revolutionen, also die Menschenrechte, und den demokratischen Common sense angelsächsischer Prägung bezieht.
Die Entkoppelung Deutschlands aus dem Westen wird nicht unmittelbar erfolgen, so Diner, aber sie deutet sich an, nicht zuletzt in den allmählich und quasi unmerklich sich verändernden Bezugsrahmen der politischen Argumentationen.
Kritik an Amerika schlug in Antiamerikanismus um
Der Antiamerikanismus als Resultat des Protestes gegen den Vietnamkrieg nahm in der pazifistischen Variante des Protestes gegen den Golfkrieg oft ganz nationale Töne an. „Offenbar wirkte sich die politische Sozialisation der 68er Jahre nicht für alle aufklärerisch aus. Die Kritik an Amerika schlug bei so manchem der damals Politisierten in traditionellen Antiamerikanismus um.“ (D. Diner) Und über den Gehalt dieses „traditionellen Antiamerikanismus“ macht man sich besser keine Ilusionen: „Die vornehmlich den Amerikanern zugeschriebenen Zirkulationsmetaphern legen jedenfalls den Eindruck nahe, es handle sich beim europäischen und vor allem deutschen Antiamerikanismus um so etwas wie einen verstellten Antisemitismus.“
Trifft diese Diagnose in ihrem Kern zu — und die jüngsten Auseinandersetzungen um den Büchner- Preis für Wolf Biermann sprechen Bände darüber, wie tief die Gräben sind, die sich in den Auseinandersetzungen um den Golfkrieg auftaten—, dann sollte man sich auf einiges gefaßt machen. Es kann durchaus so sein, wie Brumlik meint: „Juden und geschichtsbewußte Menschen mögen in Deutschland noch lange und im einzelnen sogar gut leben, heimisch werden sie hier nimmer. Von der eigenen Geschichte eingeholt, steht die deutsche Linke vor einem Scherbenhaufen. Der neuen geschichtlichen Epoche hat sie nichts mehr mitzuteilen.“
Immerhin, das sagt einer, der noch vor gar nicht so langer Zeit sehr kategorisch meinte, die Unterscheidung „links“/„rechts“ aufzugeben sei bereits selber rechts. Aber es läßt sich, nach dem Golfkrieg und nach dem Siegeszug des Hysterismus in seinem Gefolge, nicht mehr von der Hand weisen: Das Wort „links“ ist nichts weiter als ein heuristischer Stellvertreter für etwas, das es nicht gibt, dem nichts entspricht, von dem einige hoffen, es könne in der Zukunft vielleicht einen Sinn bekommen. Der Vorschlag Diners dafür lautet so: „Nach dem Zusammenbruch der Utopie des sozialistischen Internationalismus sollten die Werte eines demokratischen und republikanischen Universalismus zur respektablen Grundlage einer zukünftigen Linken werden.“ Auch wenn man das gerne unterschreiben möchte, daran zu glauben fällt schwer. Insbesondere dann, wenn man sieht, wie auch und gerade unter deutschen „Linken“, das Vokabular einer alten Welt, überwunden geglaubten Welt fröhliche Urständ feiert. Von „Heimat“ ist die Rede, die der Sozialismus dem Arbeiter geraubt habe, und da wird die Tabula rasa des Neuanfangs vergöttert.
Die deutsche und völkische Tradition
Exakt da steckt das Problem. Es gibt eben im Deutschland von heute, unverbunden nebeneinander, zwei Traditionen und damit auch zwei mögliche Normalisierungen: eine autochthone, deutsche — und in letzter Instanz: völkische — und eine vergleichsweise universale, aber erst sehr junge, mit der Bundesrepublik 1948 entstandene, die durch das Bündnis mit Amerika und durch das Offenhalten der Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus garantiert wurde. Diner erinnert an diesen Zusammenhang, wenn er Israel als das „moralische Teilstück eines politischen Dreiecks“ bezeichnet, dessen anderen Ecken die USA und die BRD bildeten. Nach der „plötzlichen historischen Kehre, die das Ende des Kalten Krieges markiert“, bedarf Deutschland der USA nicht mehr und auch nicht mehr „jener jüdischen Instanz, die mit Rücksicht auf US-amerikanische Stimmungen gepflegt wurde“. Beide genannten Traditionslinien sind partikulär und nicht etwa im schlechten Sinne abstrakt universalistisch, denn beide beziehen sie sich ganz konkret auf deutsche Geschichte. Aber sie laufen parallel und schneiden sich nicht. Kluge Mittelwege zwischen ihnen gibt es nicht, man kann nur für die eine oder die andere optieren.
Paradoxerweise war es gerade der Sieg der Freiheit westlichen Typs in Osteuropa, der in Deutschland diese letztere Tradition, deren Heimat der Westen ist, schwächt. Der „Zweite Golfkrieg“ wurde möglich durch die Implosion des sowjetischen Imperiums. Und die Reaktionen der deutschen Pazifisten, Grünen und Sozialdemokraten darauf offenbarten eine geradezu erschreckende Unfähigkeit, die Argumente der anderen, in diesem Fall der Amerikaner, der Briten, der Israelis oder auch der Franzosen, Niederländer oder Italiener, auch nur zu begreifen. Die Tatsache, daß in praktisch all diesen Ländern sogar oftmals mythische Gestalten der Anti-Pershing-Kampagne für den Einsatz kriegerischer Mittel gegen den Irak votierten, wurde hierzulande als Symptom kollektiver Verblendung wahrgenommen.
Kernfragen der zukünftigen Weltordnung
An dieser Hartleibigkeit, vielleicht gar nationalen Borniertheit, die unter der Decke pazifistischer Selbstgerechtigkeit weiter am Werke ist, wird sich auch, so steht zu befürchten, die Geduld brechen, mit der Brumlik versucht, ausgehend von dem, was er „methodischen Pessimismus“ nennt, selbst den seiner Meinung nach verstiegenen Ansichten der Kriegsgegner gerecht zu werden. Und dies alles in der Absicht klarzumachen, daß „erst in ungewissen Lagen [...] ethische Reflektionen ihr volles Gewicht [gewinnen]. Die Kehrseite der Risikogesellschaft, auch und gerade in außenpolitischer Hinsicht, besteht in erheblich gewachsenen Ansprüchen an die Moral in der Politik.“
Dennoch, solange Stimmen, wie die von Brumlik und Diner nicht verstummen, solange darf man — trotz allem — hoffen, daß es gelingen möge, den Gedanken stark zu machen, der 8. Mai 1945 sei nicht in erster Linie Tag des Zusammenbruchs [eines Reiches] gewesen, sondern vor allem ein Tag der Befreiung. Sehr zu Recht macht Brumlik darauf aufmerksam, daß die Friedensbewegung „in ihren Aktionen gegen den Krieg am Golf [...] den Alliierten das [präsentierte], wovon die Rechte in der Bundesrepublik lange nur träumen konnte — die Revanche der ,Besiegten von 1945‘“. Bereits zu Beginn der 80er Jahre hatte die Friedensbewegung „die moralischen Gründe, derentwegen der Zweite Weltkrieg von den Alliierten geführt wurde, [...] unter Hinweis auf die Bomben von Hiroschima und Nagasaki in Zweifel gezogen“. Aber gerade hier wird eine Kernfrage der zukünftigen Weltordnung berührt: Entweder sie hält es mit einem Dezisionismus à la Carl Schmitt, der jede Form von Universalismus mit Schlagworten wie „Wer Menschheit sagt, will betrügen“ diskreditiert, oder sie versucht, und sei es auch tastend und unsicher, den Weg einer moralisierenden „Weltinnenpolitik“ (Brumlik) zu beschreiten. Andere Optionen scheinen auch einer künftigen Linken nicht offenzustehen. Ulrich Hausmann
Micha Brumlik: Weltrisiko Naher Osten. Moralische und politische Perspektiven in einem Konflikt ohne Ende . Junius, 159 Seiten, 24,80 DM
Dan Diner: Der Krieg der Erinnerungen und die Ordnung der Welt . Rotbuch, 133 Seiten, 14 DM
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