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Der Leiter des Martin-Globisch-Archivs präsentiertBremen wie es schlingt und kracht

■ Martin Globisch, unser erster Gesellschaftsreporter am Platze, arbeitet unbeugsam an einem Sittengemälde seiner Epoche

Jeden Mittwoch, jeden Sonntag erscheint der Weser-Report am Firmament, jeden Mittwoch, jeden Sonntag berichtet darin der unvergeßliche Martin Globisch in seiner Kolumne „Bremen privat“ aus dem neuesten gesellschaftlichen Leben, und er tut es auf eine Weise, daß man vor Demut verstummen möchte, denn es handelt sich um ein Wunder der Sprachkunst.

Jahrein, jahraus hockt der Meister in heiligmäßiger Duldsamkeit auf seinen Umtrünken und Absackern herum, daß Gott erbarm, und doch wächst ihm immer wieder die Kraft zu, auf 200 Zeilen die Namen von 400 Anzeigenkunden unterzubringen und sodann den Zwischenraum mit Wendungen anzufüllen, die uns auf der Stelle bestürzen:

Zum Stammtisch-Auftakt ließ sich Werders Sausewind Willi Lemke mit dem Taxi bis vor die Tür fahren, rein ins Schlemmerzelt von Horst Blöchliger und ran an die lockeren Gespräche. (20.10.93)

Ran an die lockeren Gespräche! Solches hätten wir gern bei Goethen gelesen, aber der hat den Blöchliger nicht gekannt. Alle drei Tage war Horst Blöchliger damals drangekommen, übertroffen nur noch von dem

„Herrscher der Lüfte“ Dieter Grotepass (Gebietsverkaufsleiter Passage der Deutschen Luft-hansa“ (22.8.93),

welchen Globisch auch ein jedesmal getreulich bei seinem Titel „Herrscher der Lüfte“ nennt. Und weil hier allen recht getan wird und weil hier alle reichlich drankommen wollen, hat Globisch die deutsche Syntax um die Erscheinung der bodenlosen Klammer bereichert, in welche nunmehr alles, was etwa übrig bliebe, hineingeschaufelt werden kann, zum Beispiel Lothar Gräbs:

Und Edeltraud Rudloff (sie ist die Schwester von Lothar Gräbs ) gilt im Ensemble als die „graue Eminenz“ (3.10.93)

Wer aber ist denn nun Lothar Gräbs? Man weiß es nicht, man wird es nie erfahren, aber in der praktischen Globischklammer fehlt es ihm vorderhand an nichts, und der Meister ist unterdessen schon unterwegs zu den höchsten Höhen der Klammersprache, allwo er dann nur noch Namenslisten herausgeben wird, mit allem Wissenswerten hintendran weggeklammert. Falsch! Es ist schon soweit! Am 21.11.93 fiel dem Gewaltigen der

Staatsrat (Kultursenator) Dieter Opper (hielt die Eröffnungsrede)...(21.11.93)

mit irgendeiner opperhaften Tätigkeit ins Auge, und das ist einer der schönsten Siege des Namedroppings über die Beschwernisse des Satzbaus. Manchmal allerdings verrutscht ihm die Klammer noch ein bißchen; dann schlägt die Sprache zurück, und ganze Emilien gehen zu Boden:

Weiter vergnügten sich...der frühere Vegesacker Großbäcker Richard Voßmann und seine leidenschaftliche Datscha-Betreiberin (liegt im Blockland) Emilie (11.8.93)

Aber selbst wenn Globisch wollte, ein Zurück zum ordinären Relativsatz gibt es nicht mehr, denn der macht ja allmählich nur noch, was er will:

Dazu gab es für Ehefrau Martha eine Geburtstagstorte, die bei ihrem Zwischenstop in Bremen ein Jahr älter wurde (8.12.93).

Nein, es soll schon auch fürderhin die Zwischenstops usw. in die Klammern, das halten sonst die Torten nicht aus. Es hilft nichts, die Sprachmächtigen müssen himmelan weiterstürmen, und wenn hinter ihnen alles zusammenkracht. Einmal brachte Globisch ganz nebenbei, nur indem er die Rede auf

die beiden Werft-Inhaber Friedrich Lürßen und seinen Cousin Peter (17.10.93)

lenkte, den armen Peter Lürßen um seine ganze Habe und übereignete sie vermöge der Macht seines Wortes den beiden Friedrich Lürßen. Ja, der Globisch ist rasant, das ist seine größte Kunst, und es ist ihm gegeben, in sieben Wörtern und zwei Klammern alles unterzubringen, was gesagt werden kann, z.B. hinsichtlich eines Karstadt–Besuchs von Matthias Reim:

...lud Geschäftsführer Hans-Hinrich Blumenberg den rockiger gewordenen Sänger zum Essen (Filetsteak) in die Lebensmittelabteilung ein. Zu diesem Zeitpunkt war für den Geschäftsführer die Welt in Ordnung (10.10.93)

Das sagt er so, als wär's nichts! Zu diesem Zeitpunkt war für den Geschäftsführer die Welt in Ordnung! Wer hätte nicht gern einen einzigen Satz dieser Güte in seinem Leben erfunden! Aber erfinden geht nun einmal nicht. Entweder es spricht aus einem heraus, oder es spricht nicht. Aus Globisch spricht es geradezu unaufhaltsam. Zum Beispiel hinsichtlich des Allgültigen an einem Unglücksfall:

Der Filmer schickte seine Partnerin mehrmals in die Küche, um die Teller richtig voll zu machen. Doch wer alles will..., er bekleckerte seine Seidenkrawatte. „Die ist jetzt hin“, kommentierte Klaus Löffler , Flett-Besitzer (10.10.93)

In solchen Sätzen sprechen die Ewigen zu uns, und wenn sie uns einmal einen kompletten Roman zu erzählen wünschen, dauert's auch nicht viel länger:

Angefangen hatte ihre Geschichte mit einem Zuchterpel, später gehörten 100 Enten zum Club. Dann überraschte der Fuchs 25 von ihnen auf einem Bauernhof in Oberneuland und machte einen Garaus,

aber kaum war er fertig mit dem Garaus, wurden

statt Enten zwei Sturmboote für Juxtouren auf der Weser und anderen Gewässern gekauft. Nun feierte der Niedersachsen-Flugenten und Sturmboot-Club im Vereinsheim des BRV v. 1882 20jähriges Stiftungsfest

Ja, wie machtvoll hört man sie hier schon rauschen, die Schwingen des Irreseins. Aber ein Großer behütet uns allezeit, auch wenn sie uns gelegentlich der Party eines Kriegsschiffshändlers vollends zu streifen drohen:

Elvis Presley-Imitator Rio trieb die Gäste mit heißer Rock'n'Roll Musik an den Rand des Wahnsinns. Kaufmann Uwe Kutz , der u.a. in Fernost Schiffe für die Lürßen-Werft verkauft, bat anläßlich seines Jubeltages zur Buddelschiff-Party (17.10.93)

Wie hier der Frohsinn so un-austilgbar vor sich hinballert! Ein Meisterwerk der Kürzestdramatik auch dieser Satz:

Besonders die Damen waren haltlos (6.2.94)

Wohingegen folgender Satz, gesprochen über das Café Subtropia, aus wenigen Worten ein ganzes Gomorrha schafft:

Wer es noch nicht weiß: Bei Hanne im Schafstall (das ist ein Gesellschaftsraum) sind schon viele Ehen vollzogen worden. So heiratete dort u.a. Werder-Manager Willi Lemke . (3.11.93)

Globisch hat aber schon auch die anspruchsvollere Form des literarischen Idylls zur Hand:

Die Tochter des persischen Teppich-Händlers Nasser Shafiani belebt neuerdings die Neustadt. Die rassige Neda Shafiani eröffnete in der Pappelstraße das Leonardo. Aus einer an der Wand eingelassenen Kaffeekanne läuft ständig Kaffee in eine Tasse. Selbstgemalte Bilder und Skulpturen von ihrem Vater runden das Bild ab. Verpachtet hat das Lokal Enno Schaefer (Chef von Bier Klein, der schräg gegenüber sein Elternhaus hat. (15.8.93)

Ganz abgesehen davon, daß Enno Schaefer mittlerweile seinen Hauptwohnsitz in die Kolumne „Bremen privat“ verlegt hat, deutet sich hier auch schon die Gabe des Kolumnisten an, mit einem Satz das ganze Wesen der Kunst zu erfassen. Noch schöner wie folgt in der kürzesten Kritik der Welt:

Seine Bilder betonen das Reizvolle, Kuriose, Pikante, mobilisieren die Mythen, vereinigen Unvereinbares, sind Traum und Wirklichkeit. Mit rund 70 Gästen eröffnete der Bremer Künstler Hermann Böke... (6.10.93)

Ja, meine Damen und Herren Kunstsachverständigen, an solchen Wahrheiten sitzen Sie oft halbe Seiten lang! Aber nicht nur die Kritik der Kunst, auch die Kritik der ganzen Gesellschaft gelingt dem Globisch in einem einzigen Satz, zum Beispiel dem folgenden, der sich wie unabsichtlich zu seiner ganzen Gemeißeltheit erhebt:

Verkaufsagenten aus der ganzen Welt waren gestern im Marriott-Hotel zu Gast, um die Stadt Bremen besser verkaufen zu können (18.8.93)

Über solchen Sätzen in ihren Schulbüchern werden die Kindeskinder noch erschauern, wenn der Kapitalismus längst niedergerissen sein wird, und man wird dem Globisch für die Wahrheit danken, die unentwegt aus ihm heraus mußte. Es hat allerdings, das muß am Ende gesagt werden, es hat unser Meister auch eine kleine Marotte. Er ist erbarmungslos verknallt in die Wendung „vom Feinsten“, ja er gebraucht sie mit der ganzen Konsequenz der großen Männer in jedem zweiten Satz, und wenn sie noch so kreischt:

Das Gala-Menü im Kuppelsaal liest sich vom Feinsten (19.12.93)

Oder:

Die beiden Organisatoren Volker Ahlring und Großbäcker Adi Garde hatten wieder alles vom Feinsten vorbereitet (25.8.93)

Und dann aber, ganz Globisch, inmitten des Mittelmaßes dieses:

Zur Hochform lief der Vegesacker Kaufmann Nils Koerber (Koerber Wohnen) auf. Er betanzte die Frauen vom Feinsten

Und für diesen Satz wird der Unvergleichliche geradenwegs in den Himmel auffahren. Manfred Dworschak

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