INTERVIEW: „Der Leipziger Promenadenring als Grünzone“
■ In Leipzig denkt man über ökologischen Stadtumbau nach/ Bevorstehende Altbausanierung bietet Chance, Fehler anderer Großstädte nicht zu wiederholen/ Gespräch mit Wolfgang Blumenstengel vom Verein Ökologisches Bauen
LVZ: Gibt es für Leipzig eigentlich eine Chance, ökologisch umgebaut zu werden?
Wolfgang Blumenstengel: Ja, eine solche Chance hat Leipzig. Zum einen gibt es glücklicherweise in Leipzig Gebiete, zum Beispiel die Meyerschen Häuser oder der Rundling in Lößnig, auch der Weidenhof in Mockau, wo sich Vorstellungen vom ökologischen Bauen Dank der naturverbundenen Bauweise früherer Generationen gut verwirklichen lassen. Zum anderen verfügt die Stadt über ein erstaunlich großes landschaftliches Potential, das es sorgsam zu bewahren gilt. Man stelle sich die Verkehrsströme aus der Innenstadt herausgenommen vor. Der Promenadenring als Grünzone, die er ja in Leipzigs Geschichte schon einmal war.
Noch ist auch an vielen möglichen Bauflächen in Leipzig Gelegenheit, Baufehler anderer großer Städte zu vermeiden. Bei der gerade in Leipzig bevorstehenden Altbausanierung, bei Schul- und Verwaltungsneubauten bietet es sich jetzt an, wo die Erkenntnisse und Mittel da sind, bauökologisch bewährte und natürliche Baustoffe zu verwenden. Selbst in so verbauten Gebieten wie Grünau können Fassadenrekonstruktionen in Kombination mit Häuserbegrünung, grünen Dächern und mit der Erhaltung grüner Inseln erste Verbesserungen der Wohn- und Lebensqualität bewirken. Allerdings genügen Detaillösungen in Problemgebieten wie Grünau, Plagwitz und anderen nicht. Komplexe Entwicklungs- und Gestaltungskonzeptionen müssen her, die von Fachleuten zum Beispiel in Workshops erarbeitet werden.
Warum gibt's solche komplexen Entwicklungs- und Gestaltungskonzeptionen derzeit nicht?
Weil es hier um eine völlig neue Sicht auf die künftige Stadtentwicklung geht. Ein solches Gesamtkonzept für eine gesunde Lebensorganisation der Großstadt setzt die grundsätzliche Entscheidung für ökologisches Bauen voraus, bedarf aber auch rundum stimmiger Bedingungen für eine gesunde Stadt. Angefangen von der Entscheidung für Landschaftserhalt über alternative Verkehrslösungen bis zum Energiekonzept. Obwohl es in den Ämtern aufgeschlossene Leute gibt, einige gehören dem Beirat des Vereins Ökologisches Bauen an, ist dennoch viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Zu vieles ist in der Stadt gleichzeitig zu lösen. Das birgt die Gefahr, daß zahlungskräftige Unternehmen schneller zum Zuge kommen als die Stadt eigentlich verantworten kann, wenn es ihr um ein gesundes Stadtökosystem ernst ist. Nur ein Beispiel: Wenn die Stadt über dieses Gesamtkonzept eines Stadtökosystems verfügt hätte als seinerzeit „Quelle“ an die Tür klopfte, wäre der Standort für das große Versandhausunternehmen vielleicht nicht bei Mockau gewesen, sondern möglicherweise in Plagwitz. Erstens hätte man die Landschaft schonen können und zweitens umweltfreundliche Arbeit im belasteten Wohn- und Industriegebiet Plagwitz ansiedeln können. Und hätte drittens einer möglichen Verödung stillgelegter oder stillzulegender Industriegebäude vorbeugen können.
Andere Landstriche sind uns Leipzigern sicher meilenweit voraus?
Über Stadtökosysteme nachzudenken begann man international in den großstädtischen Ballungszentren bereits zu Beginn der achtziger Jahre. Denn mit der auf Raubbau und Wachstum ausgerichteten Wirtschafts- und Lebensweise in den Großstädten spitzen sich Verkehrs-, Abfall-, Wasserversorgungs- und Energieprobleme zu. Wohn-, Arbeits- und Freizeitwelt litten unter Naturferne und erdrückender Großstadtenge, unter Hektik und Schadstofflast. Revitalisierung der Städte und Gemeinden lautete zum Beispiel bundesweit die Forderung von Politikern, Städteplanern, Architekten, Ingenieuren, Soziologen und Ökologen. Viele westdeutsche Städte haben den ökologischen Stadtumbau zum kommunalpolitischen Programm erhoben.
Kann die Leipziger Öffentlichkeit das große Umdenken in Richtung ökologischer Stadtumbau beschleunigen?
Immerhin denkt man in unserer Sadt ernsthaft über ökologisches Bauen nach. Und das nicht nur im Kreis unseres gleichlautenden Vereins, sondern Dank der Vereinsinitiativen mittlerweile auch in den Ämtern des Rathauses. Wieweit das Nachdenken darüber gediehen ist und wie konkret daraus Pläne entstehen werden, können die Leipziger auf der Ausstellung „Ökologische Stadtentwicklung — eine Chance für Leipzig“ nachvollziehen, die vom 25. Oktober bis 8. November gezeigt wird. Inzwischen haben sich mit Bundesfördermitteln auch Leipziger Forschungseinrichtungen der Aufgabe verschrieben, alle Erkenntnisse zusammenzutragen, die den Ämtern bei ihren Entscheidungen für ein gesundes Stadtökosystem helfen sollen.
Und was tut der Verein Ökologisches Bauen dafür?
Zur Zeit sind wir mit der Planung von drei Projekten beschäftigt, die die ganze Bandbreite der Ziele des Vereins deutlich machen. Ein Siedlungs- und Sanierungsvorhaben ist an der Oberdorfer Straße an der Störitzer Kirche geplant. Es umfaßt eine komplexe ökologische Stadt-Umlandgestaltung, bezieht also Baalsdorfer und Mölkauer Gebiet ein. Ein weiteres Siedlungs- und komplexes Umgestaltungsprojekt liegt für die Mathiesenstraße/Viehackernwiesen in Leutzsch vor, wo 1993 eine ökologische Modellsiedlung mit rund 15 Wohneinheiten entstehen soll. Und zur Zeit laufen Vorbereitungen für eine komplexe, ökologisch orientierte Stadtteilsanierung im Wohngebiet Neustädter Markt. Über alle drei Vorhaben wird es ausführliche Informationen auf der Ausstellung im Oktober geben. Wir haben damit praktische Argumente in der Hand. Weitere 20 bis 30 Siedlungsprojekte sollen in den nächsten Jahren entstehen. Wir sind an der Erschließung attraktiver Wohnstandorte dran, die wir Neubauwilligen, die sich für preiswerte ökologische Bauprojekte entscheiden, anbieten.
Der Verein will den Bürgern nützen. Können die Bürger auch ihm nützen?
Bauwillige Bürger, Baufachleute können mit ihrer Mitgliedschaft das Anliegen kräftig unterstützen. Im übrigen können auch Bürgerinitiativen den Gang der Entwicklung beschleunigen helfen. Das Projekt am Neustädter Markt ist immerhin auf Drängen der dortigen Bürigerinitiative zustande gekommen. In Grünau gibt es übrigens erste Interessenbekundungen für eine Bürgerinitiative, uunter anderen von Roland Thielbers aus der Brackstraße 21.
Wer im Verein für Ökologisches Bauen Leipzig e.V. mitmachen will, kann sich an uns im Haus der Demokratie in der Bernhard-Göring-Straße 152 (312102) wenden. Interview: Ursel Möbius
aus LVZ vom 7. Mai
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen