Der Lehrstellenmarkt wird wieder enger

■ betr.: „Carla hätte so gerne eine Lehrstelle“, taz vom 20.11.93

Der Frust über die ins Stocken geratene Bildungslaufbahn seiner Bekannten Carla scheint Christian Füller die Feder geführt zu haben. „Carla hätte so gerne eine Lehrstelle“, war sein Artikel überschrieben. Er hätte besser heißen sollen „Carla hätte so gerne eine Lehrstelle als Tischlerin, und zwar in Berlin und sofort“. Zu ihrem Traumberuf Restauratorin hätte sich Carla dann später – als Tischlergesellin – in einer anerkannten Fortbildung weiterqualifizieren lassen können, ein klassischer Lehrberuf ist dies aber nicht.

Von Haupt-, Gesamt- und Realschulabgängern wird vernünftigerweise verlangt, daß sie sich noch während ihrer Schulzeit mit dem Ausbildungsstellenmarkt vorab auseinandersetzen, ins Berufsinformationszentrum gehen, sich über Anforderungsprofile und Marktchancen Gedanken machen. Von Carla als einer 21jährigen Abiturientin wird man erwarten dürfen, daß sie

– sich selbst zuverlässig über vorhandene Bildungswege hin zu ihrem Wunschberuf informiert,

– zu einer halbwegs realistischen Einschätzung der Zugangschancen auf dem Ausbildungsstellenmarkt gelangt,

– gegebenenfalls den Wohnort wechselt, um ihren „Traumberuf“ zu erlernen,

– sich um mögliche Alternativen aus der Menge der rund 350 dualen Ausbildungsberufe, 90 schulischen Ausbildungsgänge und über 100 Studiengänge an Unis und Fachhochschulen kümmert.

Sollte danach dennoch nichts Geeignetes zu finden sein, empfehle ich ihr, erst einmal ein freiwilliges soziales Jahr als Denkpause einzulegen [warum nicht gleich zu heiraten und Kinder zu kriegen? d.sin]

Der Grundtenor des Artikels stimmt allerdings. Der Lehrstellenmarkt wird wieder enger und wird sich im Verlauf der scharfen Rezession weiter verengen. Die Leidtragenden sind die Schulabgänger mit niedrigen Abschlüssen und/oder Benachteiligungen (Lernschwache, Ausländer, Verhaltensauffällige usw.). Gerade diese Gruppe, die bereits im Schulsystem über Jahre hinweg deklassiert (im wahrsten Sinn des Wortes) wurde, weiterhin mit Voll- und Teilzeitkursen schulisch zu „bearbeiten“, halte ich wahrlich auch nicht für den pädagogisch letzten Schluß. Man hätte aber gerne einmal etwas Neues hierzu erfahren, vielleicht im nächsten Artikel? Rainer Vock,

Berlin-Schöneberg