: Der Lärm der Erben
Bands wie Panteón Rococó und Karamelo Santo rocken in Lateinamerika nicht nur den Underground. Ein deutsches Label bringt sie nach Europa
VON KNUT HENKEL
Eine französische Band brachte den Wendepunkt. Es war die erste Lateinamerika-Tournee von Mano Negra im Jahre 1992, die eine ganze Welle von Bandgründungen nach sich zog. „Das war die Geburtsstunde des Rock Mestizo in Lateinamerika“, sagt Pedro Rosafa von Karamelo Santo, dem „heiligen Karamel“. Darüber ist sich der Sänger und Perkussionist der argentinischen Band mit seinen Kollegen von La Vela Puerca aus Uruguay einig.
Karamelo Santo sind noch heute eng befreundet mit Manu Chao, der auch auf mehreren CDs der Band zu hören ist. Die werden stets im eigenen Studio produziert, gemischt und im Selbstvertrieb verkauft. Ein Major-Label hat sich dennoch nie ernsthaft für die Band um Songwriter Guillermo Ogalde alias Goy interessiert. So verkaufen Karamelo Santo ihre CDs lieber über Netzwerke befreundeter Musiker und Künstleragenturen an die Fans: ein Konzept, das viele Nachahmer gefunden hat, nachdem die Major-Firmen auch in Südamerika zuletzt zahlreiche Bands auf die Straße setzten. Der 36-jährige Gitarrist Goy hat schon eine ganze Reihe dieser Bands produziert. Das eigene Studio im Hauptquartier von Karamelo Santo, einem Mietshaus im Stadtteil La Boca von Buenos Aires, macht es möglich.
Auch La Vela Puerca aus Uruguay nahmen ihre erste CD 1996 bei einem kleinen Independent-Label auf. Mittlerweile aber sind die acht Musiker beim Branchen-Multi Universal unter Vertrag und können von ihrer Musik leben: Für Sebastián Teysera, Sänger und Songwriter der Band, ein echtes Privileg angesichts der sozialen Realität in seiner Heimat. Auf die nimmt Teysera in den Texten seiner Band Bezug, die er als „poetische Annäherung an unseren politischen Alltag“ verstanden wissen will. Der ist in Uruguay vom wirtschaftlichen Niedergang und den Nachwehen der Vergangenheit geprägt. „Unsere Geschichte ist geprägt von der Diktatur. Sie spielt eine Rolle in unserem Alltag und in unseren Texten“, erklärt Sebastián Cebreiro, die zweite Stimme der Band, dessen Vater während der Diktatur der Siebzigerjahre aufgrund seiner politischen Überzeugungen im Gefängnis saß.
In Deutschland werden die Alben von Karamelo Santo und La Vela Puerca vom kleinen Label „Übersee Records“ vertrieben. Das deutsche Label mit Sitz in Hannover hat sich mittlerweile zur Drehscheibe für den südamerikanischen „Rock Mestizo“ gemausert. Mehr als ein Dutzend Bands aus Lateinamerika sind bei „Übersee“ inzwischen untergekommen und sehen Deutschland als Sprungbrett nach Europa an. „Hier ist es wesentlich einfacher, ein Konzert mit La Vela Puerca oder Karamelo Santo zu organisieren als in Mexiko“, sagt Luis Dr. Shanka, Sänger der mexikanischen Band Panteón Rococó. Die fehlende Infrastruktur und die hohen Kosten macht er dafür verantwortlich, dass er in Deutschland schon öfters gemeinsam mit seinen Kollegen aus Uruguay und Argentinien aufgetreten ist als zu Hause in Mexiko.
Zum fünften Mal waren Panteón Rococó kürzlich in Deutschland auf Tournee. In keinem anderen Land, außer ihrem Heimatland Mexiko, ist die elfköpfige Truppe öfter aufgetreten. „Unser Sound kommt in Deutschland gut an, und wir fühlen uns hier viel wohler als etwa in Spanien“, sagt der Sänger von Panteón Rococó. In Mexiko zählt die Band längst zu den bekanntesten Namen und spielte erst Mitte Juni vor 40.000 Fans auf dem Zócalo, dem zentralen Platz von Mexiko-Stadt auf. In Deutschland sind sie von solchen Zuschauerzahlen noch weit entfernt. „Hier müssen wir unten anfangen und die Leiter langsam hochklettern“, gibt sich Dr. Shanka keinen Illusionen hin. Die ersten Sprossen haben sie aber schon hinter sich gelassen.
Auch in Mexiko hatten es die elf Musiker zunächst schwer, ein Label zu finden. Nach der Gründung 1994 putzte die Band unzählige Klinken und blitzte überall ab, weil sie, so Dr. Shanka, „über die gesellschaftliche und soziale Realität Mexikos singen“. Den Major-Labels war das politische Engagement der Band, die aus ihrer Unterstützung für die Zapatisten keinen Hehl macht, zu heikel. Die erste CD veröffentlichten Panteón Rococó deshalb im Eigenverlag, aber die 80.000 verkauften Exemplare ließen die Industrie dann doch aufhorchen: „Dieses Album war die Basis, einen attraktiven Vertrag mit einem Major auszuhandeln“, erinnert sich Dr. Shanka.
Doch auch wenn ihr neues Album „Tres Veces Tres“ im Juni bei der mexikanischen Tochter des BMG-Konzerns erscheinen wird – ein Stück darauf wird weiterhin der EZLN, der Zapatistischen Befreiungsbewegung, und deren „Radio Insurgente“ gewidmet sein. Und auch an den zahllosen Solikonzerten zugunsten von sozialen Bewegungen oder indigenen Gemeinden hält man weiter fest: Die gehören schließlich zur Bandtradition.
Infos unter www.uebersee-records.de. Eben ist der Sampler „Echte Übersee Records Vol. II“ erschienen