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Der Kumpel im Chefsessel

Ein Portrait des Türken Yilmaz Karahasan: Als erster Ausländer wurde er in den IG-Metall-Vorstand gewählt  ■ Von Kemal Kurt

Im Oktober vergangenen Jahres wurde auf dem 17. ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall in Hamburg der 54jährige Yilmaz Karahasan als erster Ausländer in den elfköpfigen Vorstand gewählt. Seine Wahl fand in den Medien große Aufmerksamkeit; das Bild vom Kumpel Yilmaz, der vor 35 Jahren mit zwei ausgebeulten Pappkoffern aus der Türkei kam und heute im Chefsessel sitzt, ging durch die Presse. Obwohl das Ergebnis allein schon aus Paritätsgründen plausibel ist – von den 3,4 Millionen Mitgliedern der größten Einzelgewerkschaft der Welt sind 323.578 (9,5 Prozent, Stand: September 1992) ausländische Arbeitnehmer –, wäre es ohne die jüngsten Ausschreitungen gegen die Ausländer wohl kaum zustande gekommen. Karahasan selbst betrachtet seine Wahl als ein positives Signal.

Schon der Vater Ömer war ein engagierter Gewerkschaftler. Von ihm lernte der junge Yilmaz das gewerkschaftliche ABC und erbte seinen Kampfgeist, in einer Zeit, so Karahasan, „in der Gewerkschaftsarbeit einem Spaziergang auf Minenfeldern gleichkam.“ Nach seiner Ausbildung zum Elektriker und einem Jahr Arbeit unter Tage in den gefürchteten Zechen von Zonguldak kam Karahasan 1958 nach Amberg in der Oberpfalz und fing mit einem Stundenlohn von 1,99 DM bei Siemens als Elektromonteur an. Er gehört zu den Türken der ersten Stunde, drei Jahre vor der offiziellen Anwerbevereinbarung.

„Ich war damals die lokale Attraktion in Amberg“, erinnert sich Karahasan. „Einen Türken hatte noch keiner aus der Nähe gesehen. Nach Feierabend setzte ich mich mit meinen deutschen Kollegen in die Kneipe, erzählte ihnen von meinem Land. Wenn ich heute die Bilder im Fernsehen sehe...“

Nach einem Jahr ist sein Paß abgelaufen. Die türkischen Behörden bestehen darauf, daß er zurückkommt und seinen Militärdienst ableistet. „Der Schriftwechsel dauerte ein weiteres Jahr“, erzählt Karahasan. „Ein Jahr lang lief ich ohne gültigen Paß herum und arbeitete weiter, die Behörden duldeten es. Heute ist das nicht denkbar.“

Zwei Jahre müssen die Amberger ohne ihn auskommen. Im April 1962 kehrt er zurück und nimmt die gleiche Tätigkeit bei der gleichen Firma wieder auf. Er tritt in die IG Metall ein und heiratet die Kollegin Marianne Schildbach, mit der er zwei Kinder hat.

1963 wechselt Karahasan zu den Ford-Werken in Köln und wird Vertrauensmann der IG Metall. Mittlerweile sind die angeworbenen „Gastarbeiter“ aus der Türkei angekommen, 2.500 zu den Ford- Werken. Der Vorsprung kommt Karahasan zugute, wegen seiner Deutschkenntnisse ist er ein vielgefragter Mann. Karahasan geht mit Engagement ans Werk und wirkt entscheidend beim Aufbau der betrieblichen Gewerkschaftsorganisation mit.

„Ich habe innerhalb von vier Wochen 1.000 türkische Arbeitnehmer in die IG Metall aufgenommen“, sagt er, „und wurde zum roten Tuch für alle Meister.“ Seine Arbeit mißfällt den Vorgesetzten, die mit Kündigung drohen. Nach einem Jahr geht Karahasan als Sozialberater zur Arbeiterwohlfahrt. 1967/68 besucht er die Sozialakademie in Dortmund, bis er beim IG-Metall-Vorstand politischer Sekretär in der Abteilung Ausländer wird. 24 Jahre lang führte er diese Tätigkeit aus, bis er in den Vorstand gewählt wurde..

Als Gewerkschafter und Sozialdemokrat hat Karahasan in der türkischen Ausgabe der IG-Metall-Zeitung gegen die Militärdiktaturen in der Türkei kein Blatt vor den Mund genommen. 1974 und 1978 wurde er in der Türkei festgenommen und 1978 vom Istanbuler Staatssicherheitsgericht in Abwesenheit zu fünf Jahren Haft verurteilt. Erst im Juni 1992 wurden alle Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt und die Haftbefehle aufgehoben, so daß er nach 14 Jahren wieder in seine Heimat einreisen kann.

1963 ist Karahasan in die SPD eingetreten. Er war mehrmals Bundesdelegierter der SPD. Ob er sich heute noch in der SPD gut aufgenommen fühle?

„Ich gehöre nicht zu denen, die bei Meinungsverschiedenheiten gehen und das Feld den anderen überlassen“, antwortet er. „Ich warte, bis ich herausgeschmissen werde. Zur Zeit ärgert mich die Parteispitze nur. Das Asylrecht darf nicht ausgehöhlt werden. Die SPD hat die historische Chance verpaßt, sich an die Spitze der antirassistischen Bewegung zu stellen, und hat den konservativ-reaktionären Kräften nachgegeben.“

Mitwirkungsmöglichkeiten bei gesellschaftlichen Entscheidungen sieht Karahasan in Gewerkschaften und politischen Parteien gegeben, aber für ein politisches Amt kommt er mit einem ausländischen Paß nicht in Frage. Die Gewerkschaften haben schon von Mitte der fünfziger Jahre an dafür gesorgt, daß die angeworbenen Arbeitnehmer arbeits- und sozialrechtlich den deutschen Kollegen gleichgestellt sind und die Tarifverträge für alle gelten. Dadurch wollte man verhindern, daß die ausländischen Arbeitnehmer als Lohndrücker eingesetzt werden können. Es hat aber 30 Jahre gedauert, bis das höchste Gremium sich einem Ausländer öffnete. Karahasans Kandidatur war gar nicht vorgesehen, er schlug sich selbst vor. Einige Kollegen hatten Bedenken, daß die ostdeutschen Kollegen seine Kandidatur als Affront verstehen könnten. Andere befürchteten wiederum, daß dies bei „griechischen Kollegen böses Blut erzeugen könne“ (!). Doch eine überwältigende Mehrheit sah das Zeichen und stimmte für ihn.

Akzeptanz und Ablehnung gegenüber Ausländern folgen für Karahasan eindeutig der Konjunkturkurve. In Krisenzeiten wachse die Ablehnung, weil die Politiker die wirtschaftlichen Probleme auf Ausländer abwälzten. Der Bevölkerung werde suggeriert, sie befinde sich vor einer Naturkatastrophe, die ihr Leben bedrohe. Dann kämen die Übergriffe.

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