Der Krieg und die kleinen Kaukasusstaaten: Seismografische Auswirkungen
Aserbaidschan und Armenien, Moldova und Transnistrien: die bestehenden Konflikte in den kleineren Kaukasusrepubliken werden angeheizt
BERLIN taz Mit großer Nervosität beobachten Georgiens Nachbarn Armenien und Aserbaidschan den Konflikt um Südossetien. Am Mittwoch und Donnerstag erst hatten, so das aserbaidschanische Verteidigungsministerium, armenische Truppen mit Maschinengewehren aserbaidschanische Einheiten angegriffen. Armenier und Aserbaidschaner wissen aus Erfahrung, dass kriegerische Auseinandersetzungen auf die Nachbarn ausstrahlen können. Anfang der 90er-Jahre hatten sie sich einen erbitterten Krieg um die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Enklave Nagorni Karabach (in Aserbaidschan) geliefert. Seit dem 1994 geschlossenen Waffenstillstand gilt der Karabach-Konflikt als "eingefroren".
In Aserbaidschan hat man keine Zweifel: Der Schuldige am georgisch-russischen Krieg ist in Moskau zu suchen. Besonders erzürnt ist man hier über die russischen Luftangriffe auf mehrheitlich von Aserbaidschanern bewohnte Gebiete Georgiens. Russische Friedenstruppen seien nun in keiner Kaukasus-Region mehr akzeptabel, heißt es in den lokalen Medien, Russland könne nun im Karabach-Konflikt nicht mehr als Vermittler auftreten. Azad, ein Englischlehrer in Baku, sagte der taz, Moskau dürfte große Schwierigkeiten haben, die Olympischen Winterspiele in Sotschi, das gerade einmal 50 Kilometer von Abchasien entfernt ist, durchzuführen.
Wer nach Armenien einreist, muss seine Papiere russischen Grenzsoldaten zeigen. Russische Soldaten stehen auch an der Grenze zwischen Armenien und der Türkei. Aserbaidschanischen Presseberichten nach seien Flugzeuge, die Georgien bombardiert hätten, von russischen Luftwaffenstützpunkten in Armenien gestartet.
Armenien ist bemüht, seine Sympathien für die russische Seite nicht offen zu zeigen. Am Dienstag versicherte Armeniens Verteidigungsminister Sejran Oganjan dem georgischen Botschafter in Armenien, Armenien werde nicht zulassen, dass von seinem Territorium gegen Georgien Krieg geführt werde.
Der russisch-georgische Krieg hat auch zwischen der Regierung in Moldova und der Führung der abtrünnigen Republik Transnistrien zu Spannungen geführt. Letztere kündigte an, so lange alle Kontakte zur moldavischen Hauptstadt Chisinau abzubrechen, bis die dortige Regierung die "Aggression" der Georgier in Südossetien nicht eindeutig und bedingungslos verurteile.
Wie Südossetien und Abchasien gehört auch Transnistrien zur Kategorie der sogenannten eingefrorenen Konflikte auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Transnistrien, der östlich des Flusses Dnjestr gelegene Teil Moldovas, in dem Russen und Ukrainer die Mehrheit der rund 555.000 Einwohner stellen, spaltete sich 1992 nach einem viermonatigen Bürgerkrieg von Chisinau ab. Heute agiert die sezessionistische Region, die eine Drehscheibe der organisierten Kriminalität ist, de facto autonom, ist aber international nicht anerkannt. Am 17. September 2006 stimmten 97,1 Prozent der Wahlberechtigten Transnistriens in einem fragwürdigen Referendum für die Unabhängigkeit von Moldova und einen freiwilligen Beitritt zur Russischen Föderation.
Nach den jüngsten kriegerischen Auseinandersetzungen in Georgien werden auch in Moldova ähnliche Szenarien diskutiert. Moldovas kommunistischer Staatspräsident Wladimir Woronin, der ebenfalls mit einem Beitritt zur Nato liebäugelte, spreche in letzter Zeit auffällig oft von einer Neutralität seines Landes, zitiert die moldauische Nachrichtenagentur Regnun mit Michail Kuschakow einen Politologen aus Transnistrien. Zwar seien Provokationen von Seiten Chisinaus gegenüber Transnistrien nicht auszuschließen. "Doch für ernsthafte Aktionen", so Kuschakow, "verfügt die Staatsmacht in Moldova weder über ausreichend Kräfte noch Ressourcen."
B. CLASEN, B. OERTEL
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