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Der Krieg ist in den Köpfen

■ Wir tragen alle dazu bei mit dem Krieg zu leben EUROFACETTE

Für die Türken ist der Krieg nicht von Bedeutung. Denn schon immer wurde der Krieg nicht als Zerstörung, sondern als Sieg und Landgewinn begriffen. Noch heute rühmen sich die Türken eine Nation zu sein, die „mit Schwertern Ländern erobert“ hat. Auch die ersten Worte eines Werbespots im türkischen Fernsehen lauten heute: „Mit Schwertern Ländern erobern.“ Die Werbestragegen versprechen sich von dem Spot, ihr Produkt besser verkaufen zu können.

Seit dem 2.August 1990 applaudieren die Regierungen der Partnerländer dem türkischen Regime, das erklärt hat, der Weg zur Lösung der Golfkrise müsse mit Schwertern beschritten werden. So haben wir in der Türkei einerseits eine kriegshysterische Regierung, der vom Westen applaudiert wird, andererseits Bürger, denen der Krieg schnurzegal ist. Alle zusammen tragen wir dazu bei, daß wir mit dem Krieg leben und die herrschende Politik unterstützen. Für die Türkei ist der Krieg ein Mittel, um die Tore, die Europa vor der Türkei schließt, zu öffnen. Eine Möglichkeit, um das Eintrittsbillet in die EG zu erkaufen. Wie wunderbar, daß man dafür noch die Legitimation der Vereinten Nationen erhält. Die türkische Regierung feilscht um der ökonomischen Vorteile wegen mit dem Westen und entzieht die Kriegsentscheidung der parlamentarischen Kontrolle. 80 Prozent der Bevölkerung sind gegen die Regierung eingestellt. Doch obwohl diese Regierung ihre Basis in der Bevölkerung gänzlich verloren hat, bleibt sie im Amt. So ist es ganz normal, daß diese 80 Prozent, die gegen die politisch Herrschenden nichts unternehmen, auch nicht ihre Stimme gegen den Krieg erheben. In Istanbul sind gerade 17.000 Unterschriften unter ein „Nein zum Krieg“ gesammelt worden. Der Krieg ist Realität, klammheimlich von der Bevölkerung anerkannt.

Das Meinungsforschungsinstitut Gallup hat die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage veröffentlicht. Danach unterstützen 55 Prozent der Bevölkerung die Politik von Staatspräsident Özal in der Golfkrise. 57 Prozent glauben daran, daß Özal der Bevölkerung Informationen vorenthält. Das heißt nichts anderes, als daß die Türken in dieser Frage eine Politik unterstützen, von der sie überhaupt nichts wissen. Ohne Bedarf an Aufklärung unterstützt man die Herrschenden.

Das „Nein zum Krieg“ macht keinen Sinn. Weil diejenigen, die „nein zum Krieg“ sagen könnten, die Jasager der vergangenen zehn Jahre sind. Sie haben im Zuge des Terrors nach dem Militärputsch 1980 das Neinsagen verlernt. In Ausnahmefällen kommt ein Neinsager dahergelaufen. Man glotzt sie wie Dorfirre an. Das erste Opfer der Türkei im Golfkrieg ist die sechzehnjährige N.A., die ein Plakat „Nein zum Krieg“ in ihrer Schule aufhängte, und gegen die nun der Staatsanwalt zwanzig Jahre Gefängnis fordert.

Nach den Berechnungen der Herrschenden bringt der Krieg unglaublich viel ein: Nicht nur Militärhilfe, neue Kriegsindustrien und Subventionspakete aus dem Ausland, sondern Ablenkung von den inneren Problemen. Krieg bedeutet, am Regime festzuhalten, Terror und Unterdrückung zu legitimieren. Das Volk, das nach dem Putsch 1980 immer ja gesagt hat, kann weiter Opfer bringen. Jeder Protest und Widerstand gegen das System ist nunmehr gleichbedeutend mit Hochverrat und Kollaboration mit dem Feind. Aus den staubigen Regalen der Geschichte werden rassistische und nationalistische Ideologien hervorgeholt und wieder aufpoliert. Für eine Regierung, die 80 Prozent der Bevölkerung gegen sich hat, sieht es doch ganz gut aus.

Nicht umsonst ist die Türkei bestrebt, im Orchester der freien Welt Konzertmeister zu spielen. Auf der politischen Arena wird der Kriegslust der Regierung kaum Widerstand entgegengebracht. In gewissem Sinn geben die Oppositionsparteien das Schweigen der Bevölkerung wider. Der Schrecken eines Krieges wird noch nicht einmal von dem Oppositionsführer, dem Sozialdemokraten Erdal Inönü thematisiert. Ohne mit der Wimper zu zucken kann Inönü sagen, daß der Krieg keine zentrale politische Frage der Türkei ist. Inönü sagt zwar „nein zum Krieg“, aber er fürchtet, daß das „Nein zum Krieg“ die Parole einer außerparlamentarischen Bewegung werden könnte.

So tut sich nichts. Die Gewerkschaften, die Vereine, die Oppositionsparteien — nichts, außer viel Gerede in Podiumsdiskussionen. Es gibt keinen „Verein der Friedensfreunde“, wie damals beim Koreakrieg in den fünfziger Jahren. Keinen „Friedensverein“, dessen Mitglieder nach dem Putsch 1980 in den Gefängnissen kaltgestellt wurden. Der Krieg ist im Geiste bereits Realität geworden.

Man sollte nicht verwundert sein. Die Türkei ist ein Land, in dem die Armee seit zehn Jahren gegen die eigene Bevölkerung kämpft und Erfahrung mit dem Krieg im Südosten des Landes hat. Wie soll eine Bevölkerung, die daran gewöhnt ist im Fernsehen „tote Terroristen“ anzuschauen, den neuen Krieg verwerfen?

Vielleicht ist der Krieg ja notwendig. Vielleicht ist es notwendig, daß eine Armee, die alle zehn Jahre gegen die eigene Bevölkerung putscht, das Parlament auseinanderjagt und mit den Arbeitern, Jugendlichen und der Intelligenz abrechnet, ihrer Hauptaufgabe nachgeht und mit dem äußeren Feind Krieg führt. Meiner Meinung nach ist es notwendig. Der Krieg muß alsbald anfangen, unsere Armee muß Mossul und Kerkuk einnehmen, und der Ölpreis muß gesenkt werden. Erbil Tusalp

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