Der Korso der Schweigenden

■ Lektüre aus Pasolinis „Petrolio“ in der Schauspielhauskantine

Vor kurzem fand der Bischof von Como zumindest drei gute Gründe, warum die italienischen Madonnen-Statuen allenthalben blutige Tränen zu weinen beginnen: 1. die marxistische Doktrin. 2. den Holocaust und 3. die Verschwendungssucht unserer Gesellschaft.

Zumindest der erste und der dritte Punkt waren zeitlebens auch für den italienischen Schriftsteller, Filmemacher und Polemiker Pier Paolo Pasolini Reibungspunkte: die Auseinandersetzungen mit kommunistischer Partei und Doktrin waren Legion, und seine Klagen darüber, daß Italien immer deutlicher zum Konsum-Eldorado wurde, und der Konsum letztlich nichts anderes sei als die vollkommenste Gleichmacherei bestimmten in den letzten Lebensjahren seine Streitschriften, Essays und Petrolito, seinen letzten Roman. Dieses Monsterwerk in der gewollten Form eines Fragments, eines „Metaromans in Form der kritischen Ausgabe eines unveröffentlichten Textes“, blieb bei Pasolinis Tod 1975 tatsächlich Fragment, dessen Veröffentlichung in den nächsten siebzehn Jahren hinausgezögert wurde.

Ein Jahr nach Erscheinen der deutschen Ausgabe suchte sich der Schweizer Schauspieler Roland Hunger-Bühler, im Schauspielhaus als Gast in Canettis Hochzeit zu sehen, ein Kapitel daraus für eine Lesung aus: den Spaziergang eines Liebespaares durch die elementare Häßlichkeit eines römischen Vorortes, der im Zuge der Verbürgerlichung endgültig sein Gesicht verloren hat.

Mit angenehmer, gleichförmiger Stimme las der Akteur die erschreckenden Beschreibungen vor kleinem, interessierten Publikum. „Dieser Text ist heute noch viel gültiger als vor zwanzig Jahren“, meint er. „Was Pasolini damals übertrieben hat, ist längst Wirklichkeit geworden – die Gewalt der Medien, der Konsumrausch, das Eindimensionale.“ Recht hat er und bot – jenseits vom Hörkonsum – einen Anreiz, sich den kaum vorlesbaren, höchst komplexen Text doch als Buch selbst zu erarbeiten.

Thomas Plaichinger