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Der Kontollrichter sieht rot

■ Mit waghalsiger Begründung Post von Birgit Hogefelds Anwältin gestoppt

Berlin (taz) – Herr Schmidt, Richter am Amtsgericht Bielefeld, weiß, was Sache ist. Mit Beschluß vom 25. September ließ er die Post der Rechtsanwältin Ursula Seifert an ihre Mandantin, das verhaftete RAF-Mitglied Birgit Hogefeld, „von der Beförderung ausschließen“. Drei Seiten lang verfügt er, es handele sich bei den übersandten Unterlagen nicht um „Verteidigerpost“ im Sinne des Gesetzes – die kopierten rund 80 Zeitungsartikel und das Manuskript einer Fernsehsendung seien vielmehr ein „Beschaffungsservice für weiteren Lesestoff“. Und den habe der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof untersagt. Der Gesetzgeber, so Schmidt weiter, habe „vernünftigerweise“ nicht gewollt, daß dieses Verbot mit dem schlichten Etikett „Verteidigerpost“ unterlaufen werden kann. Da unser Kontrollrichter nicht dumm ist, räumt er ein, daß es durchaus Kollegen gibt, die dies als „Verteidigerpost“ hätten durchgehen lassen – die den Begriff eben „in extenso“ auslegen. Auf solch lästerliche Deutungen wären selbst das Landgericht Stuttgart und, schlimmer noch, auch das Bayerische Oberste Landgericht „kritiklos“ hereingefallen. Wo kommen wir da hin, fragt sich der Mann, „haben wir denn seit Croissant und Konsorten nichts dazugelernt?“ Ist schon eine solche Frageform in richterlichen Anordnungen, vorsichtig gesagt, ungewöhnlich – Schmidts Erklärung dafür scheint geeignet, dienstaufsichtsführende Behörden in Zweifel ob der selbsternannten Kompetenz des Amtsrichters zu stürzen: „Das ist dieselbe Blauäugigkeit liberalistischer Prägung, wie sie bei der Diskussion um das ,Geldwäschegesetz‘ zu beobachten war. Gott sei Dank ist der Plan, die Ausweispflicht bei Einzahlung größerer Beträge für Rechtsanwälte und Steuerberater entfallen zu lassen, nicht Gesetz geworden.“ Was hat das mit kopierten Zeitungsartikeln gemein?

Zum Schluß räsoniert Schmidt noch: „Für den Fall, daß die Verteidigung mal wieder die beliebte Melodie der angeblichen verzögerlichen Bearbeitung spielen möchte, weise ich darauf hin, daß ich erst seit dem 22.09.1993 aus dem Urlaub zurück bin.“ Haben wir denn nichts dazugelernt? Der Mann braucht Dauerurlaub! Wg

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