: Der Konkurs als Chance
■ Christoph Schlingensief macht heute den Laden dicht: Seine Partei „Chance 2000“ ist finanziell am Ende
Berlin (taz) – „Junge, aufstrebende Partei meistbietend zu verkaufen.“ Die ungewöhnliche Kleinanzeige fand sich in der Samstagsausgabe dieser Zeitung. Dahinter steckt der von Christoph Schlingensief initiierte Verein „Chance 2000“, der als Partei zur Bundestagswahl zugelassen ist. Die Parteiparole „Wähle dich selbst!“ wird am 27. September nun doch nicht Wirklichkeit: Die Partei steht vor dem Konkurs.
„Montag machen wir den Laden dicht“, sagte Schlingensief gestern zur taz. 90.000 bis 100.000 Mark Schulden habe „Chance 2000“ – „wenn wir nicht schließen, droht uns ein Verfahren wegen Konkursverschleppung.“ Diese Entscheidung traf der Bundesvorstand der Partei am Wochenende auf einem Treffen mit Landtagsverbänden und Direktkandidaten in Berlin. „Da ist schon Trauer ausgebrochen“, berichtete Schlingensief, tröstete seine Parteimitglieder aber gleichzeitig: „Mit dem Dachverband ist ja nur die aufgeblasene Hülle weg.“ Jeder Kandidat könne für sich weitermachen.
„Chance 2000“ habe viel weniger Spenden erhalten als erhofft, klagte Schlingensief. Lediglich eine Spende von 190.000 Mark des Modemachers Wolfgang Joop habe die Partei in den letzten Monaten am Leben erhalten. Der Fernsehmoderator Alfred Biolek habe 5.000 Mark für die Partei gespendet, sein Kollege Harald Schmidt 6.000 Mark. Schlingensief selbst hat nach eigenen Angaben 80.000 Mark („Alles was ich zur Verfügung hatte!“) in „Chance 2000“ gesteckt. In einem „allerletzten Versuch“ sucht Schlingensief nun „einen Käufer, der das Scheitern finanziert“. „Wir haben auch schon einen Interessenten, mit dem wir in der nächsten Woche verhandeln werden“, so der gescheiterte Parteichef.
Erst im März hatte Schlingensief, der als Theater- und Filmregisseur („Deutsches Kettensägenmassaker“) sowie als Talkshow- Gastgeber bekannt wurde, die „Partei der letzten Chance (PLC)“ alias „Chance 2000“ in Berlin gegründet. Nach eigener Definition eine „Partei für Nichtwähler, Behinderte, Arbeitslose und andere Minderheiten“. Acht Landesverbände gründeten sich, zahlreiche Direktkandidaten treten im ganzen Land an. Nach eigenen Auskünften hat die Partei heute 1.000 Mitglieder und mehr als 30.000 „Sympathisanten“. Ursprünglich angetreten, um die Parteipolitik zu persiflieren, war „Chance 2000“ selbst Partei geworden; sie wurde zur Bundestagswahl zugelassen. Schlingesief selbst kandidiert in Prenzlauer Berg.
Ab morgen führt allerdings nicht mehr Schlingensiefs Berliner Crew, sondern der hessische Landesverband die Geschäfte von „Chance 2000“. Unklar ist, ob eine Partei, „die es so nicht mehr gibt“ (Schlingensief), am 27. September wählbar ist. Auf den Wahlzetteln, die größtenteils schon gedruckt sind, ist „Chance 2000“ auf jeden Fall vertreten. „Alle Wahlzettel einzustampfen und neu zu drucken ist bestimmt teuer“, meint Schlingensief. „Da kann uns der Bundeswahlleiter eigentlich das Geld auch direkt geben, dann brauchen wir nicht in Konkurs zu gehen.“ Im übrigen habe er keine Lust mehr, „die Führungsfigur“ zu spielen, so Schlingensief: „Ab morgen kann ich mich wieder meinen Ideen widmen – und nicht mehr irgendwelchem Bankscheiß!“ Robin Alexander
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