■ Der Konflikt zwischen taz und Hürriyet zeigt die Notwendigkeit eines institutionalisierten Dialogs der deutsch- und türkischsprachigen Presse: Journalistisches Scharmützel
Die Berichterstattung über die Festnahme des Grünen-Politikers Ozan Ceyhun droht in ein deutsch- türkisches Journalistenscharmützel zu münden. Die taz drückte ihre Verwunderung über die frühen Kenntnisse der Zeitung Hürriyet von der Festnahme aus. Worauf Hürriyet den 1995 in der taz erhobenen Vorwurf, sie sei ein verlängerter Arm des türkischen Geheimdienstes, neu auflegte und konterte, die taz sei ein linksradikales, antitürkisches Hetzblatt (siehe taz vom 20. 2.). Weder der eine noch der andere Vorwurf trifft zu. Auch geht es bei diesem Konflikt nur vordergründig um die Person Ozan Ceyhuns. Tatsächlich wird Ceyhun für etwas Tieferreichendes instrumentalisiert, etwas, was die türkische Presse aggressiv und die deutsche Presse mißtrauisch macht.
Die in Frankfurt erscheinenden türkischsprachigen Zeitungen – Sabah, Milliyet, Türkiye und Hürriyet – verstehen sich als die wahren Interessenvertreter der in Deutschland lebenden Türken. Diese Rolle können sie nur deshalb für sich reklamieren, da die 2.5 Millionen Türken Deutschlands noch immer ohne elementarste Bürgerrechte sind und noch immer keinen Zentralrat der Türken nach dem Vorbild des Zentralrates der Juden in Deutschland haben.
Entgegen der Wahrnehmung durch die deutsche Öffentlichkeit hat die türkische Gemeinde eine heterogene und lose Organisationsstruktur. Und nur eine Minderheit akzeptiert die beiden Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir (Bündnisgrüne) und Leyla Onur (SPD). Die konservative Mehrheit kann sich mit dieser grün-sozialdemokratischen Vertretung im Bundestag, die sie nicht gewählt hat, nicht identifizieren. Nach Ansicht vieler Türken vermengen die Grünen die Ausländerpolitik (meint Türkenpolitik) undifferenziert mit der Asylpolitik, die sich viele Türken durchaus restriktiver wünschen. Als verletzend wird auch die Haltung so mancher Bündnisgrüner erlebt, die die Türken in Deutschland als fünfte Kolonne der Regierung in Ankara sehen, die in der Türkei die Kurden unterdrückt.
Bei der SPD dagegen registrieren die Deutsch-Türken sehr genau, daß sie sich aus Rücksicht auf ihre traditionellen Wählerschichten nur zögerlich für die Durchsetzung der überfälligen Bürgerrechte für Türken engagiert. Geißeln SPD-Vertreter gleichzeitig Menschenrechtsverletzungen in der Türkei mit scharfen Worten, wird dies als nicht hinnehmbarer Widerspruch empfunden. CDU und CSU dagegen haben immer noch nicht begriffen, daß vor allem sie davon profitieren würden, wären die Türken denn wahlberechtigte deutsche Staatsbürger.
In dieser Situation bleibt die türkischsprachige Presse Deutschlands mit einer Tagesauflage von 350.000 verkauften Exemplaren das einzig verbleibende effektive Sprachrohr der türkischen Minderheit. Und diejenige Zeitung erscheint als die beste Interessenvertretung, die sich am parteilichsten und mit der schärfsten Sprache der türkischen Sache annimmt. Die Folge ist eine nationalistische Lobbyarbeit, die natürlich keinerlei Kritik an den Türken und der Türkei verträgt.
Diese Undifferenziertheit wiederum macht die deutsche Presse mißtrauisch. Doch sitzt auch sie, links wie rechts, im gläsernen Haus. Seit Jahrzehnten sind die Türken Manövriermasse der Parteien, wird auf Kosten der Türken Innenpolitik, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik betrieben. Die deutschsprachige Presse hat bei der Instrumentalisierung der Türken als Sündenbock der Nation immer wieder kräftig mitgewirkt.
Zurück zum Fall Ceyhun: Ganz offensichtlich soll die politische Karriere eines türkischstämmigen Grünen kurz vor seinem Einzug ins Europaparlament gestoppt werden. Es gibt sowohl deutsche als auch türkische Kreise, denen das recht gut ins Konzept paßt. Deutschland hätte keinen türkischen Abgeordneten im Europaparlament, der zudem auch noch wegen Totschlags per Haftbefehl in der Türkei gesucht wird. Die Türkei wiederum hätte ihre Macht demonstriert und einen unbeliebten (ausgebürgerten) Türken zu Fall gebracht.
Auch den meisten Deutsch- Türken paßt es nicht, daß ihre Interessen von den Grünen vertreten werden sollen, auch wenn diese es durchaus gut meinen. Die Türkennominierungsmaschine der Grünen, die neben Cem Özdemir unter anderen auch die in Bayern lebende Ekin Deligöz auf aussichtsreiche Listenplätze für die anstehende Bundestagswahl setzt, beunruhigt die türkische Presse so sehr, daß Journalisten im Privatleben der KanditatInnen herumstöbern, um sie zu demontieren.
Obgleich türkische und deutsche Journalisten inzwischen recht häufig bei Tagungen und Symposien zusammenkommen, bleibt ihr Verhältnis trotz bester Absichtserklärungen angespannt. Der gestörte Dialog droht sich fortzusetzen, oder, wie in der Auseinandersetzung zwischen taz und Hürriyet, zu verhärten. Wo sind die Notausgänge aus dieser drohenden Konfliktspirale? Zunächst darf von den Journalisten erwartet werden, daß sie jede Hetze aus ihrer Sprache herausnehmen, sauber recherchieren und überprüfen, wo sie selbst für Polemik, Parteilichkeit und Stimmungen anfällig sind. Dies auch deshalb, weil bald wieder Wahlen in Deutschland sind. Und allen Anzeichen nach werden die Türken Deutschlands erneut für politische Ziele mißbraucht. Angesichts von fünf Millionen Arbeitslosen wäre dies ein Spiel mit echtem Feuer. Um so dringender ist ein Dialog zwischen deutschen und türkischen Journalisten.
Kurzfristig wäre ein Moratorium zu schließen, das vorerst bis zu den Bundestagswahlen im Herbst gelten sollte. Die Initiatoren könnten der deutsche Presserat und der Bundesverband der türkischen Journalisten sein. Sie sollten jegliche Polemik verurteilen, die die Mißverständnisse und Vorurteile zwischen Türken und Deutschen vermehren könnten. Wer zuwiderhandelt, sollte von beiden Initiatoren gemeinsam öffentlich scharf gerügt werden.
Langfristig sind auch pädagogische Maßnahmen zum Abbau der wechselseitigen Vorurteile deutscher und türkischer Journalisten notwendig. Denkbar wäre ein Austausch angehender Journalisten, die in deutschen und türkischen Redaktionen ausgebildet werden, um zu lernen, journalistische Subjekte wie Objekte auch aus dem Blickwinkel der Gegenseite zu betrachten. Vorurteilslosigkeit heißt dabei nicht Kritiklosigkeit. Die kritische Berichterstattung muß weitergehen. Echte Freunde vertragen auch bittere Worte unter- und übereinander. Bülent Tulay
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