■ Der Konflikt um Ost-Timor und das Erbe des Kalten Krieges: Indonesien will nicht mehr zahlen
Er wolle „kein Kuba in unserem Hinterhof“, begründete Indonesiens Ex-Präsident Suharto die Invasion seiner Truppen in Ost-Timor im November 1975. Es war der Höhepunkt des Kalten Krieges: Kurz zuvor hatte das kommunistische Nord-Vietnam den Süden erobert und den USA damit eine böse Niederlage beschert. Als dann in Ost-Timor, das von den portugiesischen Kolonialherren nach über zweihundert Jahren abrupt und völlig unvorbereitet aufgegeben worden war, eine linke Befreiungsbewegung die Unabhängigkeit erklärte, sahen die Regierungen im Westen schon den nächsten Dominostein fallen. Mit schweigender Zustimmung von US-Präsident Gerald Ford schickte Suharto seine Truppen.
Anders als sein Vorgänger, der bis zuletzt Oppositionelle mit Vorliebe als „Kommunisten“ entlarvte, ist der neue Präsident B. J. Habibie nicht bereit, jeden Preis für die Erbschaft des Kalten Krieges zu zahlen. Deshalb hat er kürzlich angeboten, Ost-Timor mehr Autonomie zu gewähren oder es sogar in die Unabhängigkeit zu entlassen.
Die schwere Wirtschaftskrise hat diese Haltung bestärkt. Denn obwohl Ost-Timor mit seinen 800.000 Einwohnern nur ein winziger Teil des 210-Millionen- Reiches ist, wendete Jakarta in den letzten Jahren riesige Summen auf, um die undankbare Region zu befrieden. „Trotz des ganzen Geldes und aller Opfer hat Indonesien es nicht vermocht, die Herzen und Köpfe der Timoresen zu gewinnen“, sagt die Präsidentenberaterin Dewi Anwar Fortuna, „so wie die Vereinigten Staaten es nicht schafften, die Herzen und Köpfe der Vietnamesen zu gewinnen.“ Nach 23jähriger militärischer Besetzung, Terror und Bespitzelung herrschen Angst und Mißtrauen unter den Bewohnern der Region. Tausende von Zuwanderern aus Java und anderen Inseln sorgen sich um ihre Zukunft. Viele Militärs, die ihre hohen Verluste nicht vergessen können, schwören Vergeltung. Ost-Timoresen, die sich in den letzten Jahren mit den Indonesiern wohl oder übel arrangiert haben, fürchten Racheaktionen ihrer Landsleute. Die Opposition im Exil ebenso wie in Ost-Timor selbst ist gespalten.
Das Ende der Tragödie, die vor 23 Jahren begann, ist noch nicht abzusehen. Wenn sich die Regierung in Jakarta wirklich, wie angedeutet, noch in diesem Jahr aus Ost-Timor zurückzieht, scheint ein Bürgerkrieg unausweichlich. Daß der charismatische Unabhängigkeitskämpfer Xanana Gusmao, der gestern aus dem Gefängnis entlassen wurde, ihn verhindern kann, ist kaum zu hoffen. Jutta Lietsch
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