: „Der Kohle keine Träne“
INTERVIEW ANDREAS WYPUTTA
taz: Herr Zöpel, die Große Koalition in Berlin beerdigt die Steinkohle – und die Menschen in Nordrhein-Westfalen folgen einem alten Reflex: 67 Prozent lehnen die Schließung aller Zechen ab. Zu recht?
Christoph Zöpel: Nein. Den Menschen ist eingehämmert worden, dass es ohne Steinkohle nicht ginge. Verständlich ist aber, wenn sich die Bergleute und ihre Familien jetzt Sorgen machen. Sie haben angesichts der überhöhten Versprechungen von Regierungen aller Art auch ein Anrecht darauf, dass ihnen nichts passiert.
Die Angst existiert aber. CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers greift dies auf, verspricht im Landtag eine Mittelstandsoffensive im Ruhrgebiet. Gleichzeitig besucht er Pittsburgh im ehemaligen US-Steinkohlerevier. Das ist doch nicht mutig oder innovativ?
Wieso? Ich bin in meinem Leben zwei Mal in Pittsburgh gewesen. Bei meinen ersten Besuch 1977 kam schwarzes Wasser aus den Leitungen des besten Hotels der Stadt – und das ist kein Witz. Bei meinem zweiten Besuch 1999 konnte man den Ohio von oben unverhüllt von Abgasschwaden sehen. In Pittsburgh erkennt man, dass es einer Stadt ohne Kohle wirtschaftlich besser geht, dass sie schöner wird. Was soll falsch an Rüttgers‘ Besuch sein?
Sie weinen der Kohle keine Träne nach?
Nein. Ich hatte meinen Wahlkreis in Hückelhoven im Kreis Heinsberg. Da gab es die Zeche Sophia Jacoba. Die hatte vor ihrer Schließung 4.000 Beschäftigte. Davon ist so gut wie niemand arbeitslos geblieben. Im Gegenteil: Die Einwohnerzahl von Hückelhoven ist gestiegen und die Attraktivität des Ortes auch. Und die 36.000 heute im Bergbau Beschäftigten werden auch nicht arbeitslos bleiben. Schon heute erklärt der größte Bergbauzulieferer in Bochum, er sei nur noch zu 30 Prozent von der Steinkohle abhängig.
Die Zukunft des Ruhrgebiets sieht Rüttgers in den Branchen Logistik, Gesundheit, Kulturwirtschaft, spricht von „kreativer Ökonomie“. Klingt das nicht nach den Konzepten der SPD?
Es sind unstreitig richtige Entwicklungen, die von der SPD-Landesregierung eingeleitet wurden. Aber wirtschaftlichen Aufstieg und damit neue Arbeitsplätze schaffen nur Unternehmen mit neuen, wirtschaftlich umsetzbaren Ideen. Der Staat hat nur begrenzten Einfluss: Er kann Unattraktivitäten des Standorts beseitigen. Er kann massiv die Forschung fördern, so wie es die alte Bundesregierung getan hat, genau wie es die Große Koalition jetzt tut. Es macht keinen Sinn, dass Parteien sich gegenseitig Ideenlosigkeit vorwerfen.
Was macht das Ruhrgebiet denn unattraktiv?
Bis in die achtziger Jahre blockierte die Großindustrie riesige Flächen. Die Zeit der Großindustrie ist in Europa vorbei, sie wandert nach Indien und China. Das Ruhr-„Gebiet“ war im wahrsten Wortsinn „besetzt“. Die Lebensbedingungen waren durch Stahl, Kohle und Kohlechemie unattraktiv. Jetzt kann auch die Steinkohle ihre letzten Grundstücke freigeben. Damit ist die Metropole Ruhr nicht mehr durch alte Industrien gehandicapt. Der Wirtschafts- und Lebensraum von fünf Millionen Menschen sind nun offen für neue Ideen.
Was ist denn in? Was bringt das Ruhrgebiet nach vorn?
Die Unternehmen müssen innovative Produkte und Dienstleistungen bereitstellen, die weltweit nirgendwo sonst hergestellt werden. Im Bereich der Dienstleistungen werden immer mehr Menschen hochqualifiziert in Forschung und Entwicklung arbeiten. Und: In einer alternden Gesellschaft wächst auch der Gesundheitsbereich. In der Metropole Ruhr arbeiten hier schon über 300.000 Menschen.
Dazu ist staatliche Anschubförderung nötig. Rüttgers aber will das Ruhrgebiet erst 2015, wenn die Steinkohlesubventionen auslaufen, besonders unterstützen. Ist das nicht zu spät? Selbst die Kirchen warnen vor einem Strukturbruch.
(lacht) Ja, ja. Das ist nett von den Kirchen, das ist Seelsorge. Die Kirchen kümmern sich eben um die Menschen, denen eingehämmert wurde, ohne Kohle ginge es nicht. Der Ruf nach staatlicher Förderung jedoch ist berechtigt. Seit aber nicht nur Bund und Land, sondern auch noch die Europäische Union fördert, weiß niemand mehr genau, wie viel Fördermittel eigentlich wo hin fließen. Ich wage die These: Das wissen nicht einmal die Mitarbeiter von Ministerien.
Sie behaupten, niemand wisse, wie viel Geld ins Ruhrgebiet fließt?
Ja. Deshalb hat Herr Rüttgers im Landtag auch eine stellenweise schwache Rede gehalten, in der er die Wirklichkeit schlechter gezeichnet hat, als sie ist. Die Debatte zwischen Regierung und Opposition dreht sich überwiegend um die Landesförderung – das ist daneben. Nur eine Zahl: 2005 hat das Bundesforschungsministerium 533 Millionen Euro nach Nordrhein-Westfalen gegeben, und daran hat sich auch durch den Berliner Regierungswechsel nicht viel verändert. Davon geht etwa ein Drittel an die Ruhr, das ist mehr als die gesamte EU-Förderung. Herr Rüttgers aber hat das mit keinem Wort erwähnt. In der Auseinandersetzung zwischen Landesregierung und Opposition klafft eine erschreckende Lücke zwischen parteipolitischer Agitation und Information. Würden die Menschen wissen, wie viel Geld allein der Bund für Forschungsförderung ausgibt, hätten sie weniger Angst.
Also fehlen neue Ideen?
Nein, aber nur Unternehmen schaffen Arbeitsplätze. Regierungen schaffen kaum Arbeitsplätze – außer, sie stellen neue Lehrer oder neue Kindergärtnerinnen ein. Die Landesregierung hat völlig recht, Mittel in die Unterstützung von kleinen Unternehmen zu stecken. Wenn es in Ruhr dann gelänge, eine Aufbruchstimmung zu erzeugen – weil ausreichend Grundstücke da sind, weil Ruhr Kulturhauptstadt wird, weil der FC Schalke vielleicht Deutscher Meister wird – dann hätte Ruhr gewonnen.
Klingt ein bisschen einfach.
Natürlich gibt es noch einen Nachholbedarf bei der Infrastruktur. Benachteiligte Stadtteile müssen weiter aufgebessert, Brachflächen weiter erschlossen werden. Und dann müssen Technologien erneuerbarer Energien konsequent gefördert werden. Stellen Sie sich vor, wir könnten der Welt zeigen, dass aus dem von Kohle und Stahl beherrschten Ruhrgebiet eine ökologisch intakte Weltstadt wird – das wäre ein Signal für die Zukunft! Außerdem schlage ich Förderungen zur Verringerung der Ewigkeitskosten des Bergbaus vor.
Wie soll das gehen?
Die durch den Bergbau veränderte Landschaft könnte stellenweise angepasst werden. Die Welt würde sich darüber freuen, wenn es gelänge, Grubenwasser nicht länger abpumpen zu müssen. Das würde mehr Arbeitsplätze schaffen, als der Bergbau aufgibt!
Sie wollen einen Teil des Ruhrgebiets absaufen lassen?
Ich habe erwartet, dass Sie so reagieren. Ich halte das für verantwortungslos. Die Menschen haben das Ruhrgebiet verändert. Man kann behaupten, durch die Bergehalden sei eine wunderbare südmünsterländische Landschaft verunstaltet worden. Bergbau war die größte Devastierung, die brutalste Vergewaltigung einer Landschaft in Mitteleuropa. Die Menschen haben das Ruhrgebiet bisher nicht absaufen lassen, richtig. Die Emscher aber haben sie zu einer stinkenden Kloake verunstaltet. Als ich 1989 die Renaturierung der Emscher angemahnt habe, hat der damalige Chef der Emschergenossenschaft erklärt: „Zöpel ist verrückt.“ Heute findet das jeder richtig. Warum sollte man also nicht an bestimmten Stellen, wo Menschen nicht verdrängt werden, Seen anlegen?
CDU-Landeswirtschaftsministerin Christa Thoben klagt, die Ruhrgebietsförderung sei zu oft ineffektiv. Viele der Technologiezentren seien nicht überlebensfähig. Schmerzt Sie das als ehemaliger Minister für Landes- und Stadtentwicklung?
Nein. Nicht alles, was Menschen anfangen, kann funktionieren. Die U-Bahnen waren richtig, die Städtebauförderung war richtig, der Grundstücksfonds des Landes war richtig. Bautechnisch war vielleicht die Ruhr-Universität ein Fehler. Wissenschaftspolitisch war und bleibt sie notwendig. Die jetzige Landesregierung muss nun ein überzeugendes Zukunftskonzept Ruhr erarbeiten – spätestens bis 2014, wenn die Kohlesubventionen frei werden.
Derzeit hat die Landesregierung kein Konzept?
Sie kennt erst jetzt die Bedingungen für das Ende des Bergbaus und für die neue EU-Förderpolitik. Jetzt müssen noch die Städte an der Ruhr eingebunden werden. Und dann tritt auch vor Ort ein Mentalitätswechsel ein, weg vom Unser-Rathaus-Denken, hin zur Metropole Ruhr.
Sie setzen also viel Hoffnung in die Zukunft des Ruhrgebiets?
Ich schwanke. Das liegt aber auch an den vielen skeptischen und unwilligen Menschen, mit denen ich spreche. Die besonderen Chancen der fünf Millionen Menschen in der Metropole Ruhr basieren auf der simplen Tatsache, dass ihre städtische Konzentration zu Vernetzungseffekten führt, die weltweit ausstrahlen können. Im Übrigen gibt es bereits positive Signale, etwa den Umzug der ThyssenKrupp-Zentrale zurück an den Krupp-Stammsitz Essen. Das war eine moralische Verpflichtung des Konzerns: Wer Düsseldorf als Schreibtisch und damit als Kopf des Ruhrgebiets versteht, amputiert die Metropole Ruhr – und macht sie zum Krüppel.