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Der König von New York

Vorwahlen entscheiden heute über den neuen Mann an der Spitze der Metropole  ■ P O R T R A I T

Die Bevölkerung von New York City hatte sich schon mit dem Gedanken abgefunden, daß dieser wortgewaltige Querkopf irgendwann im Amt sterben würde. Niemand schien Ed Koch den besten Platz im Rathaus der Sieben-Millionen-Stadt streitig machen zu können, und so fügten sie sich in ihr Schicksal, noch viele Jahre ein schwerverdauliches Unikum an der Spitze ihrer Stadtverwaltung ertragen zu müssen. Doch in den vergangenen zwölf Monaten hat das Schicksal sich gegen Ed Koch gewandt, und so könnte eine Wahl am heutigen Dienstag mit sich bringen, daß er das New Yorker Rathaus nach zwölf Amtsjahren doch als Lebender verlassen muß.

Die eigentlichen Bürgermeisterwahlen sind zwar erst im November, doch wie in vielen anderen Großstädten der Vereinigten Staaten hat auch in New York City die Demokratische Partei eine überwältigende Mehrheit. Die Entscheidung fällt somit in den Vorwahlen am Dienstag. „Vor sechs Monaten gab man mir keine Chance“, sagte Koch vor einigen Tagen auf einem seiner unzähligen Wahlkampfauftritte, „aber ich habe den Glauben nie verloren.“ In der Tat, vor einem halben Jahr schien das politische Ende des kleinwüchsigen Bürgermeisters mit dem Mega-Ego als sicher. Unter Koch hatte die Stadt keine Antwort für die durch Drogen, Obdachlosigkeit und Aids geschaffenen Probleme gefunden; seine Verwaltung mußte sich mit immer neuen Vorwürfen der Korruption auseinandersetzen; einige seiner Mitarbeiter im Rathaus fanden sich gar vor dem Kadi wieder.

Vor allem hatte Großmaul Koch den Bogen sichtlich überspannt, als er immer neue Wählergruppen mit seinen häufigen, stets aus tiefstem Herzen kommenden Publikumsbeschimpfungen verekelte. Juden müßten „verrückt“ sein, wenn sie für Jackson stimmten, sagte er während der Präsidentschaftskampagne im vergangenen Jahr und zog damit den Zorn aller Schwarzen auf sich, obendrein noch aller liberalen Weißen, die solche Töne angesichts des angespannten Klimas zwischen den Rassen der Stadt für unangebracht hielten, selbst wenn sie aus dem Mund eines jüdischen Bürgermeisters kommen. Als vor zwei Wochen Yusuf Hawkins, ein Schwarzer, in Brooklyn von einer Bande weißer Teenager ermordet wurde, sprach Koch sich gegen Proteste schwarzer Bürger in der vor allem von italienischen und irischen Einwanderern bewohnten Gegend aus und erntete harte Kritik.

Koch schimpft auf Schwarze, auf Bettler, auf viele, die zu den Verlierern im New Yorker Großtadtdschungel gehören. Doch während Leitartikler und Parteigrößen bei jeder neuen verbalen Verfehlung Kochs zusammenzuckten, ist bei vielen seiner langjährigen Anhänger eine Jetzt-erst-recht-Attitüde entstanden. Koch paßt zu dieser Stadt mit ihrer Ellbogenmentalität, ihrer oft brutalen Direktheit; Koch drückt die Gedanken vieler in der berühmten „schweigenden Mehrheit“ aus, die ihr Leben in dieser Metropole mit dem Gefühl anstatt dem Verstand bewerten. New Yorker glauben gern, in der besten Stadt der Welt zu leben, nur scheinen sie ständig zu bedauern, daß sie sie mit sieben Millionen anderen New Yorkern teilen müssen, die gleichfalls Karriere machen, Jobs bekommen, die Straßen benutzen und die Mülltonnen geleert sehen wollen. Viele sind fest davon überzeugt, daß Schwarze faul sind und den Wohlfahrtsprogrammen der Stadt ungebührlich auf der Tasche liegen, wenn sie nicht von vornherein als Kriminelle abgestempelt werden.

Kochs Herausforderer David Dinkins, der schwarze Stadtteilpräsident von Manhattan, will dies ändern, er will das rauhe Klima mildern und die Wunden heilen. Daß dies dem eher großväterlichen und zurückhaltenden Dinkins gelingen könnte, bezweifeln viele. Den letzten Umfragen zufolge hält sich die Zahl derer, die New Yorks Krankheit heilen wollen und derer, die sich mit ihren Symptomen pudelwohl fühlen, die Waage. Es wird eine spannende Wahlnacht in New York.

Stefan Schaaf

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