piwik no script img

Der Keks

■ Fanny Müller:

rotz des Hinweises meiner Freundin Lisa P. (“Wir lassen uns doch nicht unter Niveau provozieren“) besorgte ich mir den Spiegel Nr. 22 und las die Titelgeschichte „Genervt vom Feminismus – Die Männer schlagen zurück“. Sie hatte recht. Es stand nichts drin, was ich nicht schon zweimal erlebt hätte.

Erst vor wenigen Wochen, als ich mich zwecks Verwandtenbesuchs zwischen Hannover und Springe befand, ereignete sich ein bemerkenswerter Vorfall. Szenerie: ein gut besetzter Bummelzug Sonnabendmittag um zwei Uhr. Die Berichterstatterin, in Jeans plus dezente Bluse gekleidet, auf den Knien „Eso es“, ein etwas veraltetes Spanisch-Lehrbuch und neben sich auf dem freien Sitz eine Tüte Bahlsen-Butterkekse. Gegenüber ein Herr unbestimmbarer Provenienz; nicht groß, nicht klein; nicht jung, nicht alt usw. Sie liest in ihrem Heft und memoriert lautlos Vokabeln; dabei greift sie ab und zu in die Kekstüte.

Und dann beginnt das Drama. Wieder einmal holt sie sich einen Keks, und dabei streift ihr Auge unversehens das Auge des Gegenübers, das auf die Tüte starrt. Gutmütig, freigebig und menschenfreundlich, wie unsere Korrespondentin nun einmal ist, reicht sie wortlos die Tüte rüber und will sich dann wieder ihrer Lektüre widmen. Damit ist es jetzt natürlich vorbei! Der Herr beginnt mit einer etwas wirren Erzählung, in der seine Aktentasche und deren Inhalt (viel Geld) und das Schützenfest im nächsten Ort (da wohnt er) eine gewisse Rolle spielen; er endet mit der Aufforderung, daß man dort doch gemeinsam aussteigen und sich prima amüsieren könne.

Zweimal lehnt sie höflich ab, aber dann platzt ihm der Kragen. An die Mitreisenden gewandt, gibt er inhaltlich etwa folgende Erklärungen ab: „Die hat ja keinen Ehering, die wollte wohl keine“ (?). „Wahrscheinlich hat sie Willy Brandt gewählt“ (??). „Eine Frau in Hosen, das weiß man ja“ (???). Da langsam eine Art Crescendo sich in seine Stimme einschleicht und die Korrespondentin als nächstes Handgreiflichkeiten befürchtet, sieht sie sich im Abteil um. Die Männer blicken aus dem Fenster, die Frauen sehen sie an, als wäre sie keine Dame. Ihre Klamotten unter dem Arm, verläßt sie fluchtartig den Raum und kriegt als letztes noch den Aufschrei einer gequälten Männerseele mit: „Erst 'n Keks anbieten und dann frech werden!“

Ja, liebe Schwestern, und was lernen wir jetzt daraus? Das dürfte doch wohl klar sein. Mein Keks gehört mir.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen