: „Der Jude als zersetzender Bazillus“
■ Offener Brief zum Austritt aus der FDP von Andreas Nachama wegen der Wahl des Direktors des Deutschen Historischen Museums Christoph Stölzl zum stellvertretenden Landesvorsitzenden / Stölzl hatte in einer Publikation antisemitische Formulierungen gebraucht
Einen kurzen Zwischenfall gab es beim Landesparteitag der FDP am letzten Sonntag. Andreas Nachama - selbst promovierter Historiker, Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Generalsekretär der von den Berliner Festspielen für Anfang 1992 geplanten Ausstellung „Jüdische Lebenswelten“ - war zum Rednerpult gegangen, um aus einem Buch, das sein Historiker-Kollege Christoph Stölzl 1975 veröffentlicht hatte, verschiedene Passagen zu zitieren, in denen sich Stölzl „unerträgliche Formulierungen zur jüdischen Geschichte, ungeheuerliche Verallgemeinerungen, abgefaßt in der Terminologie des 'Stürmer'“, geleistet hatte, die er nicht mehr als simple Entgleisungen betrachten könne. Verhindern wollte Nachama damit offenbar die Wahl des Direktors des Deutschen Historischen Museums zum neuen stellvertretenden FDP-Landesvorsitzenden. Nachamas Lese -Versuch stieß jedoch auf taube Ohren. Mit der Begründung, er dürfe sich nicht gegen, sondern nur für einen bestimmten Kandidaten aussprechen, wurde ihm das Rederecht entzogen, und auch die eigentlich übliche Kandidatenbefragung wurde kurzfristig gestrichen. Stölzl wurde dann schließlich mit 141 von 247 gültigen Stimmen gewählt.
Der zum Schweigen gebrachte Andreas Nachama verkündete indessen noch am Sonntag in einem offenen Brief an den neuen Landesvorsitzenden der FDP Hermann Oxfort seinen Austritt aus der Partei - diesmal mit der vollständigen Zitatensammlung aus Stölzls Publikation:
Sehr geehrter Herr Oxfort!
Hiermit trete ich aus der F.D.P. aus. Ich kann es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, wenn der stellvertretende Vorsitzende der F.D.P. Berlin, Dr. Stölzl, meint, sich so artikulieren zu dürfen:
„Gerade wo die Quellen von Juden stammten, da hätte man mißtrauisch sein müssen, denn die Erinnerung der Juden an jüdische Dinge ist gerne falsch, schief, das hurtige Korrigieren und Schönen der Wirklichkeit war allemal ihre fast einzige Chance gewesen, seelisch zu überleben in einer judenfeindlichen Umwelt, kein Zufall, daß ein jüdischer Privatdozent aus Mähren den Begriff der 'Verdrängung‘ fand.“ (Christoph Stölzl: Kafkas böses Böhmen. Zur Sozialgeschichte eines Prager Juden, München 1975, Seite 15)
„Ein verhängnisvoller Dreitakt also vom Zuzug des Juden, der als zersetzender Bazillus eine heile bäuerliche Welt in die Fallstricke des wucherichen Kapitalismus lockt, sie zerstört, um dann - ein moralisches und soziales Trümmerfeld hinterlassend (mit gefüllten Taschen) 'ins Deutsche‘ nach Wien zu gehen...“ (ebenda, S.35f)
„Denn wenn die jüdische Katastrophe nach 1933 die notwendige Konsequenz des Faschismus, sein reinster Ausdruck sein mußte, wofür vieles spricht, dann sollte in der 'jüdischen‘, nicht allein in der 'bürgerlichen‘ Welt der Jahrhundertwende jenes ferne Zittern der künftigen Katastrophe zu finden sein.“ (ebenda, S.18)
„Die jüdischen Bürgersöhne trieb mehr als wahlpolitische Taktik, sie handelten aus einem diffusen Motivbündel heraus, das man als Gemeinschaftssehnsucht, Sicherheitssehnsucht bezeichnen könnte. Dabei war sicherlich das schlechte Gewissen über die manchesterliche Haltung der Väter, deren Wurzeln sie nicht kannten, ein Movens der jüdischen 'Überläufer aus der Monopolistenklasse‘ ins politische Lager des Proletariats.“ (ebenda, S.64)
„Da wuchern soziale Spannungen, häufte sich ein emotionaler Zündstoff auf, dem die jüdischen Aufsteiger in ihrem Kapital -Akkumulationswahn ignorieren mochten...“ (ebenda, S.33)
„Der Schauder vor dem 'Pöbel‘ ist ein Stereotyp der jüdischen Gesellschaft bis ins 20. Jahrhundert hinein.“ (ebenda, S. 40)
„Es war für Österreich, wo die Juden als kapitalistisches Ferment eine so bedeutende Rolle gespielt hatten, eine...“ (ebenda, S. 46)
„Es war das Unglück der Juden (...) Sprache und Habitus, die wichtigsten Bausteine des kulturell-sozialen Musters einer Gesellschaft, waren andere in den jüdischen Ghettos als in den christlichen Städten...“ (ebenda, S.26)
„Zweifellos neige sich die Zeit der klassischen ökonomischen Funktion der Juden als 'innermediäre Fremdschicht‘ um 1900 ihrem Ende zu, die jüdische Nische in der Wirtschaft mußte zugunsten anderer, nachdrängender geräumt werden.“ (ebenda, S. 73)
Mit vorzüglicher Hochachtung!
Dr. Andreas Nachama
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen