KOMMENTAR: Der Irgendwie-Senat
■ Fusion mit Brandenburg: Senat drückt sich vor offenen Fragen
Fast meinte man schon, sie sei ausgestorben, die gute, alte Irgendwie-Generation. Das vertraute »Irgendwie, Du. Echt!« hört man nur noch selten, die Reihen der Müslis, Fundis und Sozialpädagogen sind inzwischen stark gelichtet. Doch ihre Idee — sich große Gefühle und Gedanken nicht durch kleinliche Bedenken entweihen zu lassen — die lebt und hat inzwischen hohe und höchste Regierungskreise in ihren Bann gezogen.
Irgendwie hat es so auch den Berliner Senat erwischt. Konnte er noch einigermaßen zwingend begründen, warum die Stadt die Hauptstadtrolle braucht und auch verkraftet, hat er das bei seinen beiden anderen Großvorhaben überhaupt noch nicht ernsthaft versucht. Sowohl die Olympischen Spiele, die der Senat im Jahr 2000 ausrichten möchte, wie die Vereinigung mit Brandenburg, die kurz davor stattfinden soll, haben einige Argumente für sich. Doch beide Projekte haben auch einen entscheidenden Makel: Wie sie bezahlt werden sollen, ist vollkommen ungeklärt.
Für die Olympiade werden wir mit vagen Versprechungen vertröstet: das private Kapital und Bonn würden es schon richten. Das Milliardenloch, das eine Fusion mit Brandenburg in den Berliner Haushalt reißen würde, können die Experten immerhin schon beziffern. Zur Lösung des Problems denkt der Finanzsenator jedoch auch hier nur an das eine: Bonn werde sich schon spendabel zeigen.
Solange die Stadtregierung nichts weiter anzubieten hat, als das Warten auf den Weihnachtsmann, sollte sie lieber einige offene Fragen beantworten. Wie will sie den ohnehin gebeutelten Westberlinern erklären, sie müßten hinfort nicht nur mit den armen Vettern und Kusinen in Köpenick oder Hellerdorf teilen, sondern auch noch mit den ganz entfernten Verwandten in Pritzwalk oder Cottbus? Wie könnte man es andererseits in einem gemeinsamen Bundesland rechtfertigen, Zehlendorf besser zu fördern als Zinna? Werden die Verteilungskämpfe in einem solchen Land, zu dem der Ku'damm ebenso gehören würde wie Kyritz an der Knatter, die Berliner und Brandenburger nicht eher auseinandertreiben, als zusammenbringen? Der Brandenburger Finanzminister hat dieses Problem begriffen, sein Amtskollege in Berlin noch nicht. Eigentlich komisch, irgendwie. Hans-Martin Tillack
Siehe Bericht auf Seite 22
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