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Der Holzweg zum Frieden

Pierre Buyoyas Militärputsch hat das Morden in Burundi noch nicht beendet. Dialog und Versöhnung existieren bisher allein als Wunschdenken  ■ Aus Bujumbura Rupert Neudeck

Wer in Burundi Konversation treiben will, muß eine Irritation überwinden. Die Menschen haben sich angewöhnt, mit halber Stimme zu reden, so daß Gesprächspartner immer wieder angestrengt die Hand wie eine Hörmuschel hinter das Ohr halten müssen. Es ist, als ob die allgemeine Mißtrauensstimmung die Leute dazu gebracht hätte, immer nur zu flüstern. Sie haben ständig Angst, am Nebentisch könnte jemand von der feindlichen, auf Vernichtung angelegten Ethnie sitzen, und um die Ecke könnte die Miliz stehen, die die Vernichtung durchführt.

Pierre Buyoya, der neue Putschpräsident, spricht laut. Er hat ein ausgesprochenes Selbstbewußtsein, das sich durch diplomatische Aktionen nicht irritieren läßt. Er jongliert mit den Weltmedien, die alle pünktlich im Novotel in Bujumbura eingetroffen sind und dort hervorragend bedient werden. Es ist ein reines Tutsi-Quartier. Kein Hutu weit und breit. Wie im Grand Hotel in Priština, Hauptstadt des serbischen Kosovo, wo auch die 10 Prozent Serben des Kosovo (gegen 90 Prozent Albaner) sich eingerichtet haben – arrogant, reich, luxuriös und mit der Miene der allergrößten Selbstverständlichkeit.

Die burundische Hauptstadt ist in den vergangenen drei Jahren „Hutu-rein“ gemacht worden, obwohl dort einst 130.000 Hutu wohnten und Burundis Bevölkerung zu 85 Prozent aus Hutu besteht. Bujumbura ist ein künstliches, kapitalistisch boomendes Gebilde. Die alten Quartiere Kamenge und Kanama, wo früher Hutu lebten, sind leergebombt, leergeschossen, so daß sie kaum mehr bewohnbar sind. Unter dem Vorwand, es gebe dort Waffen, hat die Tutsi-Armee Tabula rasa gemacht.

Buyoya hat die Journalisten an der Leine. Sein Kabinettschef Marc Nteturuye im Partyanzug schaut sich die Szenerie genüßlich an. Buyoya gibt spontane Pressekonferenzen im Novotel, er erfüllt eine Bringschuld und kommt die ersten vier Tage lang selbst zu den Journalisten. Am fünften Tag, als es ihm gelungen ist, einen Premierminister zu benennen, müssen die Berichterstatter zum ersten Mal jemanden außerhalb aufsuchen.

„Burundi stand am Abgrund seiner staatlichen Existenz“, sagt der Bischof von Bujumbura, Simon Ntawama, über Buyoyas Machtergreifung. Der Bischof war dabei, als am 23. Juli bei der großen Beerdigungsfeier für 300 von Hutu-Rebellen getötete Tutsi der machtlose Hutu-Präsident Sylvestre Ntibantunganya bespuckt und mit Steinen beworfen wurde. Die Situation eskalierte so sehr, daß der Präsident unter dem Johlen der Tutsi-Menge Reißaus nahm und sich per Hubschrauber in die US-Botschaft unter den Schutz der Exterritorialität begab. Neun andere Minister und Honoratioren bekamen das, was in Burundi sowieso das herrschende Gefühl ist: Angst. Unter Führung des Parlamentspräsidenten machten sie sich mit Frauen und Kindern in die Residenz des deutschen Botschafters davon. Zwei Tage lang gab es keine Regierung mehr.

In dieser Situation baten die drei Spitzen des Militärs – der Generalstabschef, der Chef der Gendarmerie und der Verteidigungsminister – Pierre Buyoya, die Macht zu übernehmen. Sie hätten auch Jean-Pierre Bagaza fragen können, der als kerniger Hutu- Fresser und Chef der Tutsi-Mordmilizen einigen Militärs besser gepaßt hätte. Aber auch die Militärführung weiß, daß es mit Burundi am Ende ist, daß es auf Dauer nicht geht, die 14 Prozent der Tutsi monoethnisch dominieren zu lassen. Pierre Buyoya soll sich Bedenkzeit auserbeten haben. Er bestand darauf, nur ein Übergangspräsident für zwölf oder achtzehn Monate zu sein. Dann nahm er das Amt an.

Buyoya war zweimal in der US- Botschaft, um mit dem legalen Präsidenten Ntibantunganya einen Konsens zu finden. Das erste Mal habe „Ntiba“, wie die Tutsi ihn verächtlich nennen, abgelehnt. Das zweite Mal, so heißt es im Land der tausend Hügel und der tausend Gerüchte, habe ihn Ntibantunganya im Beisein des US- Botschafters angespuckt, wonach kein Gespräch stattgefunden habe.

Bischof Simon Ntawama gehört zur gleichen Generation wie Buyoya. Er ist 42 Jahre alt, ein prominenter, ständig gefährdeter Hutu. Seine Familie wurde ermordet, zerhackt. Aus seiner Haustür geht der Blick über die verbrannte Erde des „gesäuberten“ Stadtviertels Kamenge. Das Gespräch handelt von Martin Heidegger, über den der Bischof in Deutschland promoviert hat. Wie übersetzt man „Holzwege“ auf französisch?

Ist Buyoya ein „Holzweg“? Der Bischof lacht kräftig und wehrt ab, in gepflegtem Deutsch. Er hält den Putschpräsidenten für den einzigen, der Burundi aus der Krise führen kann. „Natürlich bin ich nicht für den Bruch der Legalität“, so Ntawama. „Natürlich ist niemand für einen Putsch. Aber wir sind uns in einem absoluten Dilemma.“

Ntawama bittet, man möge Buyoya nicht verketzern. Vielleicht sei er schon dabei, mit Léonard Nyangoma Kontakt aufzunehmen, dem im zairischen Bukavu lebenden Hutu-Guerillachef. Das sei jetzt einfacher, meint der Bischof: Buyoya und Nyangoma kommen aus der gleichen Region, aus dem südburundischen Bururi, so wie 60 Prozent des Offizierskorps. Das zählt in Burundi.

Die wichtigste Aufgabe wird Buyoya allerdings kaum erfüllen können. Er muß ein, zwei, drei Hutu in das Offizierskorps einreihen. Das wirkt im „gesäuberten“ Bujumbura wie die Quadratur des Kreises. Wie soll er das denn tun, ohne daß Bagaza mit seinen Todesschwadronen die Nominierten ermorden läßt?

In Burundi wird deutlich, wie weit Ruanda sich seit dem Völkermord entwickelt hat. In Ruanda will man ein Zusammenleben – bei aller Tutsi-Dominanz in der Hauptstadt, bei allen überfüllten Gefängnissen, bei allen Übergriffen der Armee. In Burundi weiß man noch nicht, ob man nicht doch lieber die Vernichtung des Gegners will. Gewiß, die Macht in Ruanda hat nicht der Hutu-Präsident Pasteur Bizimungu, sondern der Tutsi-Vizepräsident und Ex-Guerillachef Paul Kagame. Aber der Stellvertreter des Generalstabschefs ist ein Hutu. In der Armeebrigade Kibuye hat mit Balthazar Ndengeyika sogar ein Leutnant der besiegten früheren Hutu-Armee das Oberkommando. In Ruanda ist die Regierung dabei, den früheren Gegner einzubinden. Gewiß gibt es die Arroganz der Macht – aber es gibt auch die Leitidee, einen gemeinsamen Staat zu bilden.

In Burundi gibt es das nicht. In Burundi hat ein Hutu Angst, sich auf den Operationstisch eines Tutsi-Chirurgen zu legen, sagt Dr. Alassane Traoré, Militärarzt aus Mali und Mitglied der OAU-Beobachtermission. Nicht einmal die Nachricht der burundischen Goldmedaille beim 5.000-Meter-Lauf in Atlanta kann in Bujumbura Jubel auslösen.

An einem geheimen Treffpunkt in Bujumbura nennen drei Überlebende 26 Namen von Opfern eines neuen Massakers auf dem Hügel Shumba. Sie sagen, daß es die Armee oder eine mit der Armee verbündete Miliz gewesen ist. Sie wollen anonym bleiben. Beim ersten Besuch in ihrem Haus weigerten sie sich, irgend etwas zu sagen, weil als Fahrer ein Tutsi mitgekommen war, den sie als ehemaligen Nachbar erkannten. Am nächsten Tag kamen wir allein.

Der Weg nach Shumba geht nach Norden, die Teerstraße Richtung Ruanda entlang. 50 Kilometer geht der Weg durch total menschenleeres Gebiet, das um so schauriger wirkt, als wir plötzlich kurz vor Shumba in der Gemeinde Bunyenze auf eine große Menschenmenge stoßen. Es seien displaced persons, sagen unsere Begleiter, also von Hutu vertriebene Tutsi, die hier unter Militärschutz leben.

Aber kann man das glauben? Wir fangen an, die Leute zu befragen. Nach etwa zehn Minuten tauchen aus dem Nichts fünf Bewaffnete und zum Teil Uniformierte auf, die uns mit unmißverständlichen Gesten drohen: Wir sollen sofort verschwinden, wir haben hier nichts verloren. Der Massaker-Hügel Shumba liegt 400 Meter entfernt. Er bleibt unerreichbar.

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