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Der Herr des Treppenhauses

■ Wenn dem Hausmeister die Sehnsucht nach einem Kabelanschluß in seinen blauen Augen liegt

Traurig verstreicht der zweite oder dritte dunkle Nachmittag über vergeblichen Versuchen rauszufinden, wieso das Fahrradlicht nicht funktioniert, wenn das Kabel in Ordnung, die Birne neu und auch die Lampe erst vor ein paar Tagen gekauft wurde. In der kalten Wohnung schimpft man den Ofen aus. Lustig blinkt der Anrufbeantworter in der Ecke. Doch kein Freund spricht; leicht angetrunken, gleichzeitig energisch verlangt nur die Stimme des Hausmeisters, man solle ihn unbedingt zurückrufen.

Er ruft zurück: Er könne heut nicht einkaufen, bräuchte aber »ganz dringend zehn Bier und 'ne Flasche Korn und ein kleines Päckchen Mischbrot, wo so sechs oder acht Scheiben drinne sind.« Nur andeutungsweise, dafür um so aufgeregter, erwähnt er noch den Kabelanschluß, den ich doch hätte, und wie ich denn das gemacht habe, und bei Mischbrot, Korn und Bier müsse man mal darüber reden. Um eine Tasche, in die ich das Gewünschte packen könnte, brauchte ich mich nicht zu sorgen. Er würde eine aus seinem Fenster in den Hof werfen. Und wie ein Köder senkte sich dann seine Stimme etwas schwankend: »Ich kann dir das am Telefon nicht sagen. Ich weiß nicht, ob's angezapft wird.«

Weil der Tag sowieso erledigt war, ging ich zum Aldi, der überraschend leer war, weil alle denken, der Aldi-Markt sei stets überfüllt, kaufte Bier, Korn, Mischbrot und klingelte an seiner Tür. Und wartete ein paar Momente und erschrak, als die Tür sich öffnete. Nicht der Herr des Treppenhauses, sondern eine fremde Gestalt, ein entschlossenes und zu allen Späßen aufgelegtes, windgegerbtes, wetter- und lebenszerfurchtes Gesicht unter einer verwegenen Baseballmütze, eine Gestalt, die ein wenig an Mugh Potter erinnerte, öffnete, grüßte freundlich und geleitete mich zum Hausmeister, der in der Küche saß und traurig in ein rauschendes Fernsehbild starrte, das sich nie festlegen wollte.

Sehnsucht nach einem Kabelanschluß lag in seinen blauen Augen. Verschiedene Formulare, die er alle todesmutig unterschrieben hatte, lagen auf dem Tisch. Was müsse er nun tun? — Ich verstand keins der Blätter und wunderte mich. Aber irgendwann hatte ich sie doch selbst ausgefüllt, irgendwann waren nette Handwerker gekommen, irgendwann stand das Bild plötzlich fest und deutlich, und einseitige Freund- und Feindschaften zu Gestalten hinter dem Glas, die ich nicht mehr missen mochte, waren entstanden.

Über die Kompliziertheiten des Ausfüllens schien G. schon hinaus zu sein; er hätte jemanden an der Hand, der sich da auskennen würde. Doch zwischen dem Apparat des Hausmeisters und der Telecom stand Herr W., der einzige Mieter des Hauses, der es zu was gebracht und vor ein paar Jahren im Alleingang mit dem Kabelkram begonnen hatte.

Herr W., der Erstanschlußbesitzer, sitzt ganze Vormittage lang in seinem Büro und zählt sein Geld. Über den Erstanschlußbesitzer muß bekanntlich alles laufen. »W.« jedoch, wie der Hausmeister ihn nannte und ihm dabei das »Herr« verächtlich aberkannte, sei ein böser, wenn nicht gar krimineller Mensch. Er hätte Material gegen W. in der Hand, mit dem er beweisen könne, daß W. nicht nur seinen Anschluß quasi illegal und betrügerisch gelegt hätte, sondern auch alle Zweitanschlußbesitzer des Hauses ausbeute und aussauge, erklärte der Hausmeister unter dem Beifall seines Freundes und fuchtelte mit einer verschmierten Rechnung herum, die er aus der Mülltonne geklaubt hatte. Bezahlte ich nicht W. jeden Monat ein »schönes Sümmchen« (25 DM), und sei dieser Betrag nicht viel zu hoch, fragte der Hausmeister voll Zorn und Lebenslust — »Na also!«

Während ich noch Betroffenheit heuchelte, plante der Hausmeister mit seinem Freunde fürchterliche Gegenschläge.

W. müsse jedenfalls raus. Und überhaupt: W. lebe eigentlich ja auch nur in seiner, der Hausmeisterwohnung, und wenn er da wieder reinwollte, dann müsse sich der Kleinunternehmer was anderes suchen. Er würde sich nicht unterkriegen lassen, und er rang nach Atem. Offensichtlich ging es dem Hausmeister darum, die Kompliziertheit des Ausfüllens der Kabelanschlußformulare zu überspielen. Wenn er erst in W.s Wohnung wäre, wäre alles geritzt, denn da war ja bereits ein Kabelanschluß installiert.

Zwischen einigen Korns plante der Hausmeister Briefe, mit denen er W. vernichten würde. Die Schreibmaschine fehlte zwar, doch die würde sein Kumpel am nächsten Vormittag bei mir holen. Danach könnte man sie ja verschwinden lassen. Dann wollte er auch die Presse alarmieren: »Ich sage dir, ich rufe die 'BZ‘ an und dann steht's morgen in der Zeitung.«

Der Hausmeister vergaß wieder alles; W. kaufte das Haus, und der Freund des Hausmeisters steht mit Parka und Baseballmütze gut gelaunt vor dem Euromarkt und verwirrt die Kunden mit spitzen Bemerkungen. Detlef Kuhlbrodt

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