: Der Herbst des Opernpatriarchen
Wenn er Chef der Deutschen Oper bleiben darf, freut sich Götz Friedrich sogar über die eigene Entmachtung. Unterdessen fordert der Personalrat den Rücktritt des Intendanten. Theaterausschuß des Abgeordnetenhauses diskutiert am Montag über Zukunft der Oper ■ Von Ralph Bollmann
Die Aufführungen dauerten jeweils drei Stunden, aber Götz Friedrich führte diesmal nicht Regie. Am Sonntag mußte sich der Generalintendant der Deutschen Oper von Kultursenator Peter Radunski ins Gebet nehmen lassen, tags darauf stellte er sich dem Kreuzverhör der Parlamentarier. Zwei weitere Gespräche mit Radunski sollen folgen. Wie in mancher Oper schon die Ouvertüre das tragische Ende ahnen läßt, war auch diesmal der Ausgang bereits vorher absehbar: In Finanzfragen würde der Generalintendant künftig im eigenen Hause nichts mehr zu melden haben.
Doch wie der Heldentenor im Sterben noch die schönsten Arien schmettert, fand auch Friedrich für seine Entmachtung die freundlichsten Worte. Er könne die Absicht „nur begrüßen“, das „Wirtschafts- und Finanzmanagement zu stärken“. Im Übrigen freue er sich, daß die „wirtschaftliche Verantwortung“ jetzt endlich „auf zwei Schultern verteilt“ sei.
Einsichtig zeigte sich der Hausherr auch gegenüber dem Wunsch nach einem gefälligeren Repertoire. Die Zahl der Aufführungen moderner Werke müsse „überprüft werden“. Zwar könne die Deutsche Oper ihr zeitgenössisches Profil „nicht ganz aufgeben“, sie müsse es aber in ein „einnahmegünstigeres Verhältnis“ stellen.
Die Überlegungen der Haushaltspolitiker zur „baldmöglichen Einstellung des Balletts“ wollte Friedrich zwar „so“ nicht mittragen, er zeigte sich aber zu einer „Reduzierung“ des Ballets in Hinblick auf die von ihm einst heftig bekämpfte Fusion zum „Berlin- Ballett“ bereit.
In den Vorschlägen habe er bislang „keine Schmerzgrenze erkannt“, die ihn zum Rücktritt veranlassen könne. Er erwarte jetzt „den Vorschlag des Senators Radunski“, dann müsse er unter Umständen „neu nachdenken“. Ohnehin müsse man ihm jetzt erst einmal „die Zeit für eine Denkpause lassen“.
Da konnte die erfolgreiche „Siegfried“-Premiere an der Nationaloper in Helsinki nur ein schwacher Trost sein. Denn am eigenen Haus hat der Personalratsvorsitzende Reiner Weißbach diese Woche ein sechsseitiges Papier an die Presse verteilt, das den aufgestauten Ärger von Personal und Publikum artikuliert.
Darin schlägt er eine neue Leitung an dem Opernhaus vor, die aus dem Generalmusikdirektor Christian Thielemann als Künstlerischem Leiter, einem Manager und einem Marketingfachmann bestehen soll.
Nicht mehr darin vorgesehen ist der amtierende Chef, dessen Konterfei den Lesern der Hauszeitschrift in jeder Ausgabe mehrfach ins Auge sticht, stets mit dem Zusatz „Generalintendant Prof. Götz Friedrich“.
Doch der Herbst des Opernpatriarchen hat längst begonnen. Minutiös hat der Personalrat die Verfehlungen des Generalintendanten registriert.
So ließ Friedrich die „Susannah“-Inszenierung, „mit der Ehefrau des Intendanten in der Titelrolle“, innerhalb von nur 16 Tagen gleich dreimal spielen, davon zweimal an Samstagen. Daß das Publikum ausblieb, konnte nicht überraschen: Schließlich war das belanglose „musical drama“ des amerikanischen Komponisten Carlisle Floyd seit der deutschen Erstaufführung 1959 hierzulande mit gutem Grund nicht mehr gezeigt worden.
Auch bei Friedrichs eigenen Regiearbeiten sah der Personalrat das Verhältnis von Kosten und Nutzen nicht gewahrt. Sie sind bekannt für ihre Massenszenen, die den Intendanten erfreuen, Publikum und Kritik hingegen ermüden. Wie von einem Horror vacui besessen, sucht Friedrich die riesige Bühne seines Hauses mit Chor, Extrachor und Statisterie zu füllen. Doch die „völlig überdimensionierte Statisterie“, klagen die Personalvertreter, koste 823.000 Mark pro Jahr.
Der Einsatz von Extrachören, „besonders bei Inszenierungen des Generalintendanten“, schlage mit weiteren 200.000 Mark zu Buche. Zwei Drittel davon ließen sich einsparen, heißt es in dem Papier.
Kein Wunder also, daß die Beschäftigen nicht nur den Intendanten, sondern auch dessen Inszenierungen nicht mehr sehen wollen. „Monumentalproduktionen“ wie Friedrichs „Parsifal“, der die Kritiker schon vor zwei Monaten um die künstlerische Zukunft des Hauses bangen ließ, seien „durch bühnentechnisch einfachere und trotzdem erfolgversprechende Neuinszenierungen“ zu ersetzen.
Über den von Friedrich angeheuerten Ballettchef Richard Cragun urteilt der Personalrat nicht milder. Dessen Arbeiten seien „geeignet, das Publikum fernzuhalten“. Von „weiteren Neuinszenierungen des Herrn Cragun“ sei daher „abzusehen“.
All diese Symptome der künstlerischen Krise sind indes nicht neu. Jene Berliner Politiker, denen Friedrich in der Vergangenheit gern kulturpolitische Inkompetenz bescheinigte, haben seinen Vertrag erst im vergangenen Jahr verlängert. Daß dem Intendanten auch dann noch, als er längst zum Repräsentanten des Westberliner Establishments geworden war, der Ruf des Opernneuerers anhing, sichert ihm eine parteiübergreifende Anhängerschaft.
Der Kultursenator hat sie mit seinem Versuch, die Schuld am angekündigten Desaster dem Intendanten allein anzulasten, eher noch vergrößert.
Doch auch die Friedrich- Freunde können nicht mehr übersehen, daß der Intendant längst nicht mehr Regie führt, sondern in die Rolle des tragischen Helden geschlüpft ist. Die Vorstellung des neuen Spielplans, eigentlich für heute angekündigt, hat er aus „aktuellen Gründen“ um eine Woche verschoben. Die Lage, sagt die bündnisgrüne Kulturpolitikerin Alice Ströver, sei „ganz schrecklich“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen