Der Hausbesuch: Konstanz forever

Einst zog er wegen seiner Freundin nach Australien. Er hat sie verloren und sich gefunden. Vor allem hat er herausgefunden, wo er hingehört.

Ein Mann sitzt in einer Dachwohnung unter Fenstern auf einem Sofa

In seiner Wohnung in Konstanz: Barbetreiber und Café-Liebhaber Sven Witte Foto: Patrick Pfeiffer

Liebe kann zerstören. Oder den Anstoß geben für ganz neue Leidenschaften.

Draußen: Wer am Bodensee ist, kann gefangen werden wie eine Fliege im Spinnennetz. Es kann dort schnell passieren, dass das Handy sich in ein Schweizer Mobilfunknetz einwählt. Und das kann teurer werden als Shopping in den Läden rund um das Schnetztor herum, den Wehrbau des mittelalterlichen Konstanz aus dem 14. Jahrhundert. Unweit davon ist auch das Café „Fritz“ mit Chili-Pflanzen vor der Tür. Wer eintritt, geht auf aromatische Reise nach Australien. Direkt gegenüber dem Café wohnt Sven Witte – der Fritz von Australien.

Drinnen: „In meiner Wohnung schlafe ich nur. Mein ganzes Leben spielt sich im Café ab“, sagt Witte, 39 Jahre alt, gelernter Glaser. Auch wenn er zu Hause ist, wirft er oft einen Blick aus dem Fenster seiner Dachwohnung hinüber zu seinem Café. Er hat Kaffeesäcke an die Wand im Flur gehängt und ein Sarong-Pareo-Strandtuch neben sein Bett. In der Küche wachsen Känguru­pfoten. Das sind Pflanzen, deren Blütenform der Känguru­pfote ähnelt. Witte wacht mit einer Tasse Espresso auf und schläft mit einer Tasse Espresso ein. Auch tagsüber trinkt er Kaffee – so etwa 15 Tassen, manchmal mehr.

Fritz: In Australien nennt man die Deutschen „Fritz“, wie in anderen Ecken der Welt auch. Sven Witte war keine Ausnahme. Und er hatte nichts dagegen, als er so genannt wurde. Sein Hund heißt auch Fritz und sein Kaffeegeschäft nun ebenso. Kaffee ist seine große Leidenschaft. Dahinter stecke Liebeskummer, viel Schmerz und ein tiefes Gefühl für Ungerechtigkeit, sagt er.

Arabica oder Robusta? Wer mit Witte über Kaffee redet, verliert die Orientierung ob der vielen Details. Vor allem ist es gut, ihm keine falschen Fragen zu stellen, etwa die, ob Arabica oder Robusta besser schmeckt. „Die Kaffeeindustrie verwirrt oft mit blöder Werbung“, sagt er. „Oft liest man auf einer Kaffeepackung 100 Prozent Arabica. Das wäre, wie wenn auf einem Weißwein-Etikett stehen würde: 100 Prozent Weißwein“, sagt er. Doch gerne erklärt er seiner Kundschaft, dass Arabica ein Hochlandkaffee ist und Robusta mehr Koffein enthält, cremiger ist und im Tiefland wächst. „Es ist wie beim Apfel, von dem es mehrere Sorten gibt – süß wie Pink Lady oder schmackhaft wie Boskop, der sich eher zum Backen eignet.“

Die Wahl der Kaffeesorten: Es gebe über 8.000 Geschmackssorten, darüber kann er stundenlang reden. Sein Wissen macht seine Kaffeemischungen besonders. Seine Nase riecht und seine Zunge bestimmt. Will die Kundschaft etwa Kaffee, der nach Citrus schmeckt, dann stellt „Fritz“ ihn vor eine schwierige Wahl: „Nach Lime? Nach Grapefruit? Nach Clementine oder Mandarine? Oder besser nach Orange?“ Am Ende bietet er einen Kaffee an mit dem Geschmack von Lemon und Limonade. Eine gute Wahl.

Vereinigung der Schwestern: Nach seinem Zivildienst lernte er seine Ex-Freundin in Konstanz kennen, eine Inderin aus Uganda. „Da man in Afrika schlecht studieren kann, waren sie und ihre zwei Schwestern in der Welt verteilt“, erzählt er. Die älteste wohnte in Australien, die andere in Kanada und die jüngste in Konstanz. Die Schwestern hatten sich seit sieben Jahren nicht mehr gesehen und wollten wieder zusammenleben. Für immer. In Australien. Witte musste eine Entscheidung treffen: Entweder bleibt er alleine in Konstanz oder er zieht mit seiner Freundin, mit der er schon sieben Jahre eine Beziehung hatte, nach Australien. Die Liebe hat gewonnen.

Jung und dumm: 2007 ging die Reise nach Melbourne. Er verkaufte sein Auto, löste seine Wohnung auf, verabschiedete sich von seiner Familie und den Freun­d*in­nen. „Ich bin nur der Frau gefolgt, die ich liebte“, sagt er. Die Liebe habe ihn blind gemacht. „Ich war jung und dumm.“

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Ausgeschlossen: In Melbourne wurde sein Leben auf den Kopf gestellt. „Ich war nicht akzeptiert von den Schwestern. Die Familie mochte mich nicht“, sagt er. Zudem war Sven Witte plötzlich nicht mehr privilegiert „als weißer deutscher Mann“, sagt er. Und was ist aus der Liebe geworden? „Meine Exfreundin hat sich untergeordnet. Und ihre Schwestern hatten das Sagen.“ In Melbourne wohnte die Freundin bei ihren Schwestern und er allein. So regelten es die Schwestern. „Ich war ausgegrenzt, weil ich nicht gut genug für diese Familie war.“ Dabei hatte er sich so gefreut, dass er bald Vater werden würde, denn seine Freundin war schwanger. Doch die Familie brachte, so erzählt er es, seine Freundin dazu, das Kind abzutreiben. „Ich habe Schluss mit ihr gemacht. Sonst hätte mich das ruiniert.“

Die Polen: Er musste nun auf eigenen Beinen stehen. „Australien war böse zu mir. Hier passiert nur Mist“, dachte er sich damals. Er fand Arbeit als Fensterbauer in einer Glaserei, die einem Mann aus Polen gehörte. Die Verständigung war kompliziert. Er lief mit dem deutsch-polnischen Wörterbuch in der Hand von zu Hause zur Arbeit. Über diesen Job bekam er ein Arbeitsvisum und dann eine permanente Aufenthaltserlaubnis. 2008 war die Wirtschaftskrise, er aber hatte eine Arbeit und blieb neun Jahre. Denn nach dem Liebeskummer eroberte der Kontinent sein Herz. „Ich habe Australien geliebt.“

Spießig, aber nicht für immer: Die Deutschen, die die Deutschen satthaben, wandern aus. So denken auch die in Australien lebenden Deutschen. In Australien merkte Sven Witte, dass auch er in Deutschland ein spießiges Leben hatte. Heute freut er sich, dass er sich ändern konnte. „In Australien lebt man entspannter. Wenn die Tür nicht richtig schließt, kann man damit leben, in Deutschland regt man sich heftig darüber auf. Es muss hier alles perfekt funktionieren“, sagt er. Seit fünf Jahren lebt er wieder in Konstanz – „tief entspannt“. „Ich habe die Lebensfreude aus Australien nach Deutschland mitgenommen“, sagt er. „Doch ich konnte nicht die deutsche Lebensart nach Australien bringen.“ Aber warum wollte er das denn überhaupt? Ist das nicht wieder typisch deutsch? Witte lacht.

Der Erfinder: „Jeder Deutsche ist ein kleiner Ingenieur“, sagt er. Während seiner Zeit herrschte in Australien Trockenheit. „Die Australier haben mit dem Wasserschlauch ihre Gärten gegossen“, erzählt er. Geht das nicht auch anders?, fragte er sich und holte Fässer von einem Unternehmen, das Essiggurken herstellte. Darin sammelte er Regenwasser. Er installierte auch alte Colaflaschen auf dem Dach seines Hauses. „Beim großen Sturm saßen normale Menschen zu Hause, und ich sprang raus, um zu sehen, ob die Flaschen sich mit Wasser füllen.“ Für die Australier war das bescheuert, sagt er.

Kaffeetaffen stehen in einer Reihe auf einem schmalen Regalbrett vor einer gelb leuchtenden Wand

Kaffeeliebe, Tassenliebe: Wittes Sammlung Foto: Patrick Pfeiffer

Kaffeekultur: Sven Witte hat immer neue Ideen. Der Kaffeetrinker stieg in die Gastronomie in Melbourne ein und begann eine Barista-Ausbildung. Nachhaltigkeit und Transparenz seien ihm wichtig. „Von der Farm zur Rösterei und zum Barista. Diese Kette spricht für Qualität“, sagt er. „Nicht unreife Kerne ernten, oder die Bohnen nicht tot rösten.“ Er studierte die Kaffeewelt und brachte die Kaffeekultur in seine Heimat am Bodensee mit.

Das gute Beispiel: „Ich habe mir die Italiener und Türken hier angeschaut, beobachtet, wie sie sich in Deutschland präsentiert haben“, sagt er. „Sie machen das, was sie am besten können – mit Fleiß und Herz. Ich habe sie nachgeahmt.“

Ausbeutung: Sein Kaffee kommt vor allem aus Äthiopien, dem Ursprungsland des Kaffees. Er fliegt selber dorthin und kauft seine Kaffeebohnen. „Kaffee wird immer mit Ausbeutung verbunden sein“, meint er. Deswegen meidet er Kaffeeplantagen. Er kaufe seinen Kaffee bei den einfachen Familien, die in ihren Hausgärten Kaffee ernten oder Wildkaffeebohnen sammeln. „Ich will auch diese Menschen vor Ort unterstützen“, sagt er. Er freue sich, dass wenigstens hinter seinem Kaffee keine Kinderarbeit stecke. „Deutsche trinken viel Kaffee, haben aber keine Kaffeekultur“, stellt er fest. „Ob man tiefgefrorene Pizza isst oder zum Italiener geht, macht einen großen Unterschied.“ So sei es auch beim Kaffeetrinken. Kaffee solle man so bewusst trinken, wie man auch bewusst lieben soll.

Neue Liebe: Sven Witte hat wieder eine neue Frau kennengelernt. Ihr zu folgen, komme allerdings nicht infrage. Denn eines sei ihm klar: Sein Leben wird immer in der Kreuzlinger Straße spielen, wo er nur eine Minute braucht, um von seiner Wohnung zu seinem Café zu kommen.

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