: Der Halbe Heym
■ Wir dokumentieren im folgenden eine Würdigung des Schriftstellers Stefan Heym, die die evangelische DDR–Zeitschrift Die Kirche nicht drucken durfte
Berlin (taz) - Der nachfolgende Text sollte in der vergangenen Woche in dem DDR–Wochenblatt Die Kirche - eine evangelische Zeitung - erscheinen. Das bißchen Glasnost, was der Autor oder die Autoren hier einfordert/n, war der Zernsurbehörde offenbar zuviel: Der Artikel, eine Würdigung des Schriftstellers Stefan Heym, wurde zum Bedauern der Redaktion verboten und gestrichen. Am vergangenen Sonntag feierte Heym seinen 75.Geburtstag. Wurde er vor neun Jahren noch im Neuen Deutschland zum Kriminellen gestempelt, der sich angeblich wegen „Devisenverbrechen“ schuldig gemacht hatte, widmete ihm das Zentralorgan der SED in dieser Woche zwei Artikel. Der erste würdigt das „reiche literarische Werk, in dem sich bewegte Zeitläufe schildern“, im zweiten gratuliert der DDR Kultusminister Hoffmann höchstpersönlich zum Geburtstag. Das DDR– Fernsehen brachte einen Beitrag über den Dichter, in dem sogar auf den vor einigen Jahren noch inkriminierten Roman „Ahasver“ Bezug genommen wurde. Allerdings: Im „Neuen Deutschland“ stand keine Zeile über in der DDR verbotene Bücher wie „Schwarzenberg“, „Collin“ oder „5 Tage im Juni“, von dem vor kurzem noch Stephan Hermlin gefordert hatte, es möge nun endlich auch in der DDR erscheinen. Der offizielle Heym ist in der DDR ein halber Heym. Mitbeweger Ich erinnere mich der Probleme um ihn im Frühjahr 1979. Der „ehemalige USA–Bürger“, wie ein Kommentator schrieb, wurde damals zu einer Geldstrafe verurteilt und aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen. Er hatte ohne Genehmigung seine Meinung in einem westlichen Fernsehsender gesagt. Er hatte ein Buch geschrieben, den „Collin“, das der Präsident des Schriftstellerverbandes (auch damals schon war das Hermann Kant) ein „peinliches Unglück“ nannte. Im Herbst nun auf dem Schriftstellerkongreß wurde den seinerzeit Ausgeschlossenen bedeutet, daß die Türen wieder offen sind: Es bewegt sich. Keine drei Jahre ist es her, da war es nicht möglich, ein Buch von ihm einzuführen, den „Ahasver“, weil es - so bekam ich Bescheid - nicht „im Einklang mit den Interessen unseres Staates und seiner Bürger“ stehe. In diesem Frühjahr nun wird das Buch, um das es ging, in einem DDR–Verlag angekündigt: Ja, es bewegt sich doch, unser kleineres Deutschland, auch wenn manche das nicht glauben mögen und ihm lieber heute als morgen den Rücken kehren wollen. Auch Stefan Heym ist einmal aus Deutschland fortgegangen. Aber seine Alternative hieß: Leben oder sterben. Er ging, um zu kämpfen, und ist schließlich als Befreier, als Sergeant in amerikanischer Uniform nach Deutschland heimgekehrt. Stefan Heym, der Kommunist, denke ich, hat sein Leben lang an die Veränderbarkeit der großen und der kleinen Dinge geglaubt und hat sie mitbewegen wollen. Wie sonst hätte er die „Reden an den Feind“ schreiben können, jene Radio–Flugblätter, mit denen er seinen Landsleuten auf der anderen Seite der Front ins Gewissen geredet hat. Wie sonst das Buch über die „Fünf Tage im Juni“, mit dem er versucht, die Lehren aus einem Kapitel unserer Geschichte zu ziehen und nutzbar zu machen. Wer etwas bewegen will, braucht Mut; Zivilcourage nennt das unsere Muttersprache und scheidet es von der uniformierten Tapferkeit, die der Waffen bedarf. Unsere Vaterländer brauchen couragierte Zivilisten mehr als alles andere; Stefan Heym ist einer und dient beiden gleichermaßen. Er war immer Bürger und nie Untertan. Er ist - ich will das schwierige, das belastete Wort gebrauchen - ein deutscher Patriot. Das gepeinigte zerrissene Land war immer wieder Gegenstand seiner Literatur. Seine ersten Romane, „Hostages“ und „The Crusaders“ hat er in der Sprache des Exillandes geschrieben, aber sie befassen sich mit deutschen Angelegenheiten: mit dem Widerstand und dem Kampf gegen die faschistische Diktatur. „Der Fall Glasenapp“ und „Kreuzfahrer von heute“ sind die vertrauteren Titel. Der „Lasalle“ und „Die Papiere des Andreas Lenz“ sind hier zu nennen, und ich denke, daß auch „Der König David Bericht“ mehr über unser als über das biblische Land zu erzählen weiß. „Schwarzenberg“ schließlich ist ein packendes Gedankenspiel um ein alternatives Deutschland. Stefan Heyms Bücher sind leserfreundlich: Er fabuliert lustvoll, das macht es leicht, sich auf sie einzulassen. Hinter seinen Figuren wittert man Leben, Ähnlichkeiten wären nicht zufällig. Im Erzählten ist immer auch Tatsächliches zu vermuten, auf Überraschungen hat man gefaßt zu sein. Unversehens findet man sich mittendrin im deftigen Disput Ahasvers mit Doktor Martinus und Genossen oder erblickt König Salomo in all seiner Pracht und Herrlichkeit und mit dem, was sich dahinter verbirgt. Man beginnt, Ungedachtes zu denken. Stefan Heym wird 75. Ich will dem Jubilar und uns wünschen, daß alle seine Bücher hier im Land gedruckt werden: auch die „5 Tage im Juni“ und „Collin“ und „Schwarzenberg“. Wir brauchen ihre, seine Offenheit und Nachdenklichkeit und Toleranz.
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