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Der Giftmüll und die Grünen

■ Über Physik, Metaphysik und Politik der Sondermüllverbrennung DEBATTE

Die Grünen und die Ökologiebewegung in Westdeutschland sind bekanntlich schon immer gegen Müllverbrennung gewesen. Das war und ist auch richtig, solange solche Anlagen den Aufbau einer Abfallwirtschaft im Sinne einer Kreislaufwirtschaft verhindern und gegenüber anderen Formen der Behandlung oder Deponierung mehr Schadstoffe emittieren.

Beim Haus- und Gewerbemüll liegen die Dinge komplizierter, beim Sondermüll dagegen bestreitet heute meines Wissens auch keines der Ökologiebewegung nahestehenden Institute mehr, daß thermische Behandlungsanlagen für bestimmte Fraktionen des Sondermülls in einer Übergangszeit von 10 bis 20 Jahren unerläßlich sind. Jedenfalls gibt es inzwischen einen intensiven Diskurs darüber, was mit dem auf absehbare Zeit nicht vermiedenen Sondermüll geschehen soll.

Eine Mehrheit auf Grünen-Parteitagen, angeführt von der fundamentalistischen Linken, verhindert bisher diese Auseinandersetzung. Über Notwendigkeit, Art, Umfang und Standort einer Abfallfabrik mit thermischer Behandlungsanlage darf danach erst dann diskutiert und verhandelt werden, wenn einschneidende Maßnahmen zur Sondermüllvermeidung beschlossen und umgesetzt sind. Dies wohlgemerkt in einer Situation, in der Baden-Württemberg beinahe seinen gesamten Sondermüll exportiert, auf Deponien und in Öfen mit einem haarsträubenden technologischen Standard oder gleich in Industriefeuerungsanlagen im In- und Ausland.

Auf meine Initiative hin kam vor einem Jahr eine interfraktionelle Arbeitsgruppe Sondermüll zustande, in der jede Fraktion mit einem Mann vertreten ist (die CDU regiert in Baden-Württemberg mit absoluter Mehrheit).

In diesem Jahr sind beispiellose Erfolge in der Sondermüllpolitik erreicht worden. Der wichtigste: Ein außerordentlich ernsthafter, handlungsorientierter Diskurs und Streit um die besseren Lösungen und Wege hat begonnen, statt der sonst üblichen parlamentarischen Attituden auf der Grundlage von Einfachst- Weltbildern.

—Die CDU-Fraktion ist jetzt unserer Ansicht gefolgt, daß mittelfristig mindestens die Hälfte des Sondermülls vermieden werden kann. Dieser Erfolg stellt die eigentliche Wende in der Auseinandersetzung dar. Er hat die bis dahin herrschende Dominanz der Standortfrage einer Sondermüllverbrennungsanlage (SMVA) in der öffentlichen Debatte beendet. Es ist nun allgemein anerkannt, daß es sich bei dieser Frage um ein komplexes Problem handelt, das nur mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen und Methoden ökologisch verantwortbar bewältigt werden kann und nicht, indem man einfach Öfen baut und Gruben gräbt oder diese zu verhindern sucht.

—Der Landtag wird eine Sondermüllabgabe beschließen. Gegenüber dem Referentenentwurf wird sie zeitlich und mengenmäßig progressiv gestaffelt sein, die Schadstoffklassen werden stärker gespreizt.

—Die Landesregierung bringt im Bundesrat eine Initiative ein, die den Vorrang der stofflichen vor der thermischen Verwertung gesetzlich festlegen soll, ebenso die Rücknahmepflicht für komplexe Konsumgüter.

—Aus einem Vorschlag von mir und zwei Mitarbeitern der Fraktion (F. Unterstellter und A. Kailing) für ein „Zentrum für industrielle Abfallwirtschaft“ (ZIAB) hat Späth den entscheidenden Vorschlag übernommen und die Einrichtung einer Abfallberatungsagentur beschlossen. Damit hat sich ein ganz wichtiger Gedanke durchgesetzt: Ohne den Aufbau eines leistungsfähigen ökologischen Dienstleistungsnetzes innerhalb und außerhalb der Betriebe kann es keine rasche Realisierung der prognostizierten Vermeidungs- und Verwertungsraten geben.

Da die Regierung trotz angestrebter Halbierung des Sondermülls an zwei geplanten Standorten (Kehl und mittlerer Neckarraum) mit entsprechend verkleinerter Kapazität festhält, die Opposition dagegen zwei Sondermüllverbrennungsanlagen ablehnt, ist die Arbeitsgruppe geplatzt.

Erfolg in der Sache wird politischer Mißerfolg

Der von den Fundis dominierte Landesvorstand der Grünen Baden- Württembergs hat durch eine beispiellos aggressive Kampagne gegen die Fraktion im allgemeinen und mich im besonderen allerdings diesen Erfolg in der Sache in ein politisches Desaster verwandelt und die Fraktion bis an den Rand der Spaltung gebracht.

Dieser Konflikt ist exemplarisch für die Krise der Grünen als Partei. Drei Gründe von vielen:

1. Dogmatisierung von

Standpunkten

Die Grünen, die die politische Bühne betreten haben, um Verkrustungen und Tabus aufzubrechen, dogmatisieren ihre eigenen Positionen zusehends.

Bei technischen Sachverhalten muß ich mich rationalen Diskursen aussetzen. Denn ob eine moderne SMVA tatsächlich eine Dioxinschleuder ist, wird nicht durch die Größe einer Demo entschieden. Daß 80 Prozent der Schadstoffe aus Müllverbrennungsanlagen unbekannt seien, soll der argumentative Totschlaghammer gegen solche Anlagen sein. Mal abesehen davon, daß es sich dabei um Spurenstoffe handelt und diese Behauptung von daher alles und nichts aussagt (Faracelsus- Theorem), gilt dies für jeden Feuerungsprozeß, Kraftwerke, Autos und auch den heimischen Herd. Nimmt man die These ernst und vergleicht man die Größenordnungen, dann sind Sondermüllverbrennungsanlagen ein marginales Problem, und der Kampf dagegen rein symbolischer Natur. Die Tatsache, daß Abfälle aus Industrieprozessen Tausende nicht bekannter organischer Verbindungen enthalten, ist dagegen gerade ein Argument, das die Hochtemperaturverbrennung eher als Königsweg ihrer möglichst schadlosen Beseitigung erscheinen läßt, denn alle Bindungen in organischen Molekülen sind thermisch instabil. Ihre möglichst vollständige Verbrennung (Oxidation) zu erreichen, ist wiederum ein technisches Problem. Wenn unsere Ingenieure Probleme meistern können, dann sind es solche. Dagegen mit handgestrickten Argumenten anrennen zu wollen, verwandelt jeden Widerstand in ein letztlich erfolgloses und reaktionäres Unternehmen. Wer den Leuten einredet, daß durch Verhinderung von Sondermüllverbrennungsanlagen ein relevanter Beitrag zur Lösung des Dioxineintrags in unsere Umwelt oder gar zur Minderung des Treibhauseffekts geleistet wird, streut den Leuten Sand in die Augen. So zeichnet sich heute schon ab, daß der Versuch, mit der Dioxinkeule Verfahren zu killen, die einem nicht passen, ins Auge geht, weil er zum Beispiel aus einer Kompostierungsanlage schnell eine „Dioxinverteilungsanlage“ macht.

Das Dioxinproblem löst man durch den Ausstieg aus der Chlorchemie und durch sonst nichts.

2. Diskursverweigerung

Über die oben gemachten Aussagen kann und muß gestritten werden. Die Grünen aber versuchen, diesen Streit unter der Decke zu halten oder durch besonders großen Lärm zu übertönen. Dahinter verbirgt sich nichts als Hilflosigkeit und Angst, im argumentativen Streit nicht mehr bestehen zu können. Als Letztbegründung wird in aller Regel das Bündnis mit der Bürgerinitiative vor Ort verwendet.

3. Das Verhältnis der Grünen

zu Bürgerinitiativen

Das Verhältnis der Grünen zu Bürgerinitiativen unterscheidet sich inzwischen nicht vom Verhältnis der CDU zur katholischen Kirche, der SPD zu den Gewerkschaften und der FDP zu denen, die viel Steuern zahlen müssen, es aber nicht wollen. Unter dem Schein von „natürlicher“ Übereinstimmung wächst die Entfremdung. Die fundamentalistische Linke sieht in ihnen das Ersatzsubjekt für ihre diffuse Systemopposition (nachdem das Proletariat im linken Diskurs ausgedient hat). Damit haben die Bürgerinitiativen in aller Regel nichts im Sinn. Sie wollen meist etwas ganz Konkretes vor ihrer Haustür verhindern. Aufgrund dieser verhängnisvollen Dialektik wird das Verhalten der Grünen zu den Bürgerinitiativen klientelistisch und das der Bürgerinitiativen zu den Grünen lobbyistisch. Solche Beziehungen sind aber in einer zivilen, also kommunikativen Gesellschaft ein eher auslaufendes Modell. Denn was der (öffentlichen) Kritik nicht standhält, bewirkt in der modernen bürgerlichen Gesellschaft auch dann nichts — weswegen sie alle Beziehungen in kritische Beziehungen verwandelt, selbst Liebesverhältnisse.

Im Protest sehe ich Sinn, in einer Protestpartei nicht.

Winfried Kretschmann

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