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Archiv-Artikel

hamburger szene Der Gast als Sklavenhalter

Man sucht sich seine Nebenjobs ja nicht nur nach Talent aus, sondern auch nach Verfügbarkeit. Ich bin keine besonders geschickte Kellnerin, sobald mehr als ein Glas auf meinem Tablett steht, werde ich unruhig, dafür bilde ich mir ein, freundlich zu den Gästen zu sein. Zumindest zu den netten.

Der Gast, der Weltläufigkeit und gastronomische Expertise beweisen wollte, gehörte nicht dazu. Er gehörte zu jener schmierigen Restaurantbesucher-Unterschicht, die hofft, noch einmal in die Sklavenhalter-Sklaven-Gesellschaft schlüpfen zu können. Er duzte mich, ich siezte ihn. Leider musste ich ihm mitteilen, dass die Beilagen aus waren. Er stöhnte. Und bestellte den teuersten Wein. Ich suchte im Weinfach, ich kroch in den Weinkeller, aber der Wein war nicht zu finden. Dafür hörte ich noch dort die „Hallo“-Rufe des Gastes.

Als er erfuhr, dass auch der Wein aus sei, zeigte der Gast jene demonstrative Nachsicht, die keine ist. Und bestellte einen anderen. Da auch das Entkorken zu meinen Schwachstellen gehört, öffnete ich den Wein nebenan. „Hatte der auch einen Korken?“, fragte der Gast mit falscher Freundlichkeit. „Ja“, sagte ich und ging. Mein Chef gab ihm einen Schokoladen-Nachtisch aus. Beim Servieren erzählte mir der Gast eine unglaubwürdige Geschichte über die Herkunft der Schokolade. Vielleicht war er Gastronomiekritiker und dies ein letzter Test? Ich guckte so undurchdringlich wie die Sphinx. Der Gast gab 80 Cent Trinkgeld.

FRIEDERIKE GRÄFF