: Der Freiheit eine Gosse
■ „Stirbt die Freiheit zentimeterweise?“ - „Stadtgespräch“ zwischen Matthes, 'Tagesspiegel‘, und Kewenig, Berliner Innensenator, Mittwoch, 19.10., Nordkette
Die Fahne hoch, die Augen fest verschlossen: Bilder von prügelnden Polizeieinheiten zur IWF- und Weltbank-Tagung Ende September in Westberlin, Alltagsbilder, aber eine schöne Krokodilstränenempörung schwingt in der Stimme der Sprecherin aus dem Off, harmlose junge Leute, keine Gewalttäter, selig sind die Harmlosen und die Doofen, da ist uns die Sympathie des SFB sicher. 900Verhaftungen nach ASOG sind kein Thema, der Rechtsstaat in den Grenzen von 1977 bleibt unangetastet, eingekesselte und verprügelte Journalisten machen mehr her, ein blutender Fotograf wiegt hundert Normalverletzte, Knüppeln ist schon okay, aber bitte nicht die falschen Leute.
Nach Bild und Ton die Diskussion: Günther Matthes vom 'Tagesspiegel‘, vom SFB-Moderator Karas als Anwalt der Journalisten und ihrer Rechte vorgestellt, kommt mühsam in Gang und verschenkt die Zeit mit Zurückhaltung und Wortklauberei, betont seine 40jährige journalistische Erfahrung und sondert schön- und schongeistige Sentenzen ab: Information ist der Sauerstoff der Freiheit, die EbLT, stadtbekannte organisierte Bande von Halbtotschlägern, in der Anzeigen wg. Körperverletzung im Amt zum guten Ton gehören, nennt er umstritten, Seriosität und Bonhommie abschimmernd, der Prototyp des kritisch sich gebärenden staatstragenden Affirmativen.
Kewenig, eine dem liberalen Geschmack leicht angepaßte Variante des Haudraufundschluß-Lummer -Innensenatorendarstellertums, bringt es fertig, gegen seinen vor lauter Dezentheit schon kaum noch sichtbaren Kontrahenten ganz mau auszusehen; von einer no win situation als Innensenator spricht er, niemandem könne er es recht machen, jammert der arme Mann, auf der menschlichen Komponente reitet er Meine Damen und Herren-flehend herum, Ich konnte nicht mehr schlafen, greint er, auch die so außerordentlich günstig ins Rechtsaußerkraftsetzungskonzept passenden und im Auftrag irgendeines Innenministerkollegen abgegebenen Schüsse auf Tietmeyer beschwört er händefältelnd und gipfelt im schieren dummdreisten Stuß: In der Verteidigung der Pressefreiheit lasse ich mir von niemand den Rang ablaufen. Der Freiheit eine Gosse. Bzw. Posse.
Immerhin schwingt sich der 'Tagesspiegel'-Mann, zu ein paar Stichworten auf, spricht den Verfassungsschutz-Bericht an, mit dem Kewenig die SPD kriminalisieren wollte (das geht natürlich nicht!), die Absperrung Kreuzbergs 1987 und das Diepgen-Zitat von den handhabbaren Kontrollen für die Presse.
Kewenig reagiert mit Phrasen, Ich lasse mir das nicht abhandeln, daß ich die Pressefreiheit vertrete, er ist wie Helmut Schmidt, der bei der Eröffnung einer 'Zeit' -Redaktionkonferenz erklärt, er lasse sich von niemandem etwas sagen, außer von seinem Freund Henry Kissinger, abgestandenes Altmännergeschwafel, hilf- und heilloses Gestammel, ein Null-und-nichtig-Satz am anderen, Die Presse hat eine öffentliche Aufgabe (...) Das Schöne bei mir ist ja, und deshalb genieße ich ja auch das Leben, ich bin ein Theoretiker, der in die Praxis gegangen ist usw., der Mann schwatzt sich um Kopf und Kragen, selbst SFB-Karas wird das zu bunt und dumm, Matthes, wie erschöpft vom Gelall seines Gegenübers, bleibt der gute, kritische Untertan und ein mattes Sie verkaufen Binsenweisheiten als Weisheiten ist das Maximum an Schärfe, das er packt, er ist ein Kollaborateur, der nie kapieren wird, daß die Mißhandlung von Journalisten nur ein winziges Detail einer totalitären Strategie ist; was er zu verteidigen glaubt, existiert de facto nicht.
Ein einziges Mal fällt das Wort ASOG , auch Matthes kann die Hohlfloskeln und spricht von top-news, er spielt seine Rolle in diesem Spiel, und die Chefin der taz, Georgia Tornow, hält dieses Grundrechts-Kasperletheater auch noch für einschneidend und möchte unsere kleine Zeitung da einklinken - sie nennen es Presserecht und meinen rechte Presse.
wiglaf droste
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen