Der Fortsetzungsroman: Kapitel 18: Flache Hierarchien
Was bisher geschah: Versicherungsvertreter Selmig sucht das Kopyshop auf.
"Sie versichern Kopierer gegen Diebstahl?“ Professor Phäno schob das Kinn nach vorne.
Herr Selmig nickte langsam. Hatte dieser Wicht in dem zu großen weißen Kittel hier das Sagen? Das war das Problem mit diesen Start-ups. Die Hierarchien waren so flach, dass man sie unter der Tür durchschieben konnte, aber richtig zuständig war keiner.
„Unsere Kopierer werden nicht gestohlen, da passen wir schon auf. Major Canis wird auch morgen noch kraftvoll zubeißen.“ Professor Phäno lachte meckernd.
Ein Einwand. Darauf hatte Herr Selmig gewartet: „Sie sollten das Risiko nicht unterschätzen. So ein Kopierer ist schnell weg: klein und handlich wie eine Armbanduhr, hübsch anzusehen wie ein Diadem, heiß begehrt in der kriminellen Welt von Handel, Banken und Versicherungen. Einige meiner Klienten sind in den letzten Tagen Opfer dreister Diebstähle geworden. Zuerst ein Kyocera, genau wie der hier. Danach ein Brother, genau wie der hier. Und bei einem Flagship-Store für Pferdeprodukte war es ein Minolta, genau wie der hier. Der gehört eigentlich noch uns und nicht zur Konkursmasse.“ Der Vertreter runzelte die Stirn. „Diese Kopierer hier kommen mir irgendwie bekannt vor.“ Er fixierte Professor Phäno. „Können Sie mir das erklären? Können Sie mir erklären, wieso hier drei Kopierer von drei verschiedenen Herstellern stehen?“
„Man kommt ja zu nichts heute“, sagte Professor Median, der unbemerkt herangetreten war. „Ich kann Ihre Entrüstung verstehen. Eigentlich müssten hier sechs Kopierer von sechs verschiedenen Herstellern stehen. Aber mit dem Personal heute …“ Er deutete auf Professor Phäno, der den Kopf senkte.
„Haben Sie diese Kopierer alle gestohlen?“, fragte Herr Selmig. „Ich habe die Seriennummern der gestohlenen Geräte dabei. Ich kann das überprüfen.“
„Prüfen Sie, mein Bester. Aber ich schwöre Ihnen beim Dutt meiner Großmutter, dass es sich hier nicht um Diebesgut handelt.“ Major Canis hatte sämtliche Seriennummern porentief weggelasert und die Namen der Geräte auch. Das war ja ein richtiger Teufelskerl, dieser Herr Selmig, gefüllt mit Fachwissen bis zum rosigen Saum seiner Segelohren und von einer blitzartigen Auffassungsgabe. Kannte die Hersteller.
„Beim Dutt ihrer Großmutter?“
„Ja, nach dem Tod ihres Mannes hat sie sich einen Lebenstraum erfüllt und mit 81 Jahren ein Kopyshop eröffnet. Die Kopierer hier hat sie alle zu ihrem 80. Geburtstag geschenkt bekommen. Waren Sie auch eingeladen? Vielleicht kommen Ihnen die Kopierer deshalb so bekannt vor.“
„Ihre Großmutter.“ Diesmal war es Herr Selmig, der meckernd lachte. „Und wo ist die gerade?“
„Die führt Bewerbungsgespräche.“ Diesmal antwortete Professor Phäno. „Wir expandieren.“
„Das ist schön, wenn es für ein junges Unternehmen nach oben geht.“
„Falsch!“ Professor Phäno und Professor Median schüttelten die Köpfe. „Für uns geht es nur nach unten“, sagte Professor Median. „Abgrundtief in die Tiefe.“ Seine Stimme war zu einem Flüstern geworden.
„Aber ich bitte Sie.“ Herr Selmig war die Freundlichkeit in Person. „Die ersten drei Jahre sind immer die schwierigsten für ein junges Unternehmen. Und immerhin haben Sie schon drei Kopierer. Das ist doch besser als nichts.“
„Ein schwacher Trost. Schauen Sie sich doch mal das Personal hier an.“ Professor Phäno deutete auf Professor Median, und dieser senkte den Kopf.
„Moment mal, wer von Ihnen hat den nun das Sagen hier?“ Bloß kein unaufgelöster Kompetenzkonflikt.
„Ich natürlich“, sagte Professor Median. „Erstens strahle ich diese lässige Würde aus, zweitens habe ich ein Klemmbrett. Sehen Sie selbst.“
„Nein, ich bin der Bestimmer“, entgegnete Professor Phäno. „Meine Sonnenbrille ist deutlich eleganter geschnitten, und mein Gefäß hat einen rosa Deckel.“
„Tja, das sollten Sie vielleicht in Ruhe klären, wer denn nun für die Sicherheit der Kopierer zuständig ist.“ Herr Selmig lächelte müde.
„Major Canis, das sagte ich doch bereits“, sagte Professor Phäno.
„Hören Sie meinem Untergebenen eigentlich überhaupt zu?“, fragte Professor Median.
„Wann kann ich den Herrn Major denn sprechen?“
„Wir wollen wirklich keine Versicherung“, sagte Professor Phäno. „Und mein Untergebener sieht das auch so.“
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