Der Fluch auf den „Killing Fields“ von Haiti

■ Besuch in Fort Dimanche, dem einstigen Folterlager des Duvalier-Regimes/ Im Vergleich zur Bevölkerung kamen hier ebensoviele um wie in Buchenwald

Port-au-Prince (taz) — „Plus jamais“ — „nie wieder“ — steht auf dem blau-roten Transparent am Eingang von Fort Dimanche, wo sich in Erwartung des neuen Präsidenten von Haiti, Jean-Bertrand Aristide, Zehntausende von Menschen versammelt haben. Hier, in der Nähe des Busbahnhofs, wo die Bewohner der umliegenden Elendsviertel in schwelenden Müllhalden nach Verwertbarem herumstochern, befand sich das berüchtigtste Gefängnis des Duvalier-Regimes, dessen Namen in Haiti noch heute Angst und Schrecken hervorruft. Von den wenigen Überlebenden wird das, was sich hinter den Mauern des inzwischen verfallenen Forts abspielte, mit den Greueln der deutschen Konzentrationslager verglichen. Niemand kennt die Namen und die genaue Zahl der Häftlinge, die hier zu Tode gefoltert wurden; die Gesamtheit der auf Geheiß von Papa und Baby Doc Ermordeten wird auf etwa 50.000 geschätzt, aber selbst wenn es „nur“ 5.000 gewesen wären, entspräche dies, gemessen an der Bevölkerung Haitis, den Todesziffern von Buchenwald — die Opfer von Hunger und Elend, den allgemeinen Folgen der Diktatur, nicht mitgerechnet.

Das von grünem Gestrüpp überwucherte Brachland rund um das gelb gestrichene Fort ist ein einziges Massengrab, eine Schädelstätte. Schon bei oberflächlichem Scharren kommen menschliche Gebeine zum Vorschein. Nacht für Nacht hörten die wie Sardinen zusammengepferchten Häftlinge, die in ihrem eigenen Kot wateten und täglich nur eine Handvoll Mais oder Reis zu essen bekamen, wie sich streunende Hunde unter den Mauern des Forts um die sterblichen Überreste ihrer Kameraden stritten, deren Leichen erst dann aus den überfüllten Zellen entfernt wurden, wenn sie bereits in Verwesung übergegangen waren.

Hinzu kamen ständige Folterungen und Hinrichtungen von Regimegegnern aus allen Schichten der Bevölkerung: katholische Priester, Offiziere der Armee, Schüler und Studenten, Marktfrauen und arme Bauern. Papa Doc, der Urheber des Terrors, hat aus seiner Bewunderung für Hitler, aber auch für Stalin nie ein Hehl gemacht. Seine Mordkommandos, die Tontons Macoutes, haben den Sturz der Diktatur überlebt. Im April 1988, drei Monate nach der Flucht von Baby Doc, eröffneten Soldaten in Fort Dimanche das Feuer auf unbewaffnete Demonstranten, die die Umwandlung des Forts in eine Gedenkstätte forderten; es gab Tote und Verletzte, unter ihnen eine 70jährige Frau, die ihren Mann und ihren Sohn in Fort Dimanche verloren hatte.

Noch heute scheint auf den „Killing Fields“ von Haiti ein Fluch zu liegen. Als Père Aristide in Fort Dimanche eintrifft, um einen Baum zu pflanzen zum Gedenken der Toten, bricht unter der freudig erregten Menge eine Panik aus, die Autokarawane des Präsidenten wird fast erdrückt, und Père Aristide muß auf den Schultern eines ehemaligen Häftlings in Sicherheits gebracht werden. Hans-Christoph Buch