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Der Film zur Epidemie

Der visionäre Science-Fiction-Film „Die Hamburger Krankheit“ von Peter Fleischmann aus dem Jahr 1979 ist jetzt online zu bewundern

Drehort Hamburg: Regisseur Peter Fleischmann spricht mit dem spanischen Theaterautor Fernando Arrabal, der den Rollstuhlfahrer Ottokar spielt

Von Wilfried Hippen

Deutschland befindet sich im Ausnahmezustand. Das normale öffentliche Leben ist vollständig zum Erliegen gekommen, die Menschen trauen sich nur mit Mundschutz und zum Teil selbst gefertigten Schutzanzügen auf die Straßen, die oft menschenleer sind. Es gibt rigorose Reisebeschränkungen, all jene, die sich in der Nähe von Infizierten aufgehalten haben, kommen in streng bewachte Quarantäne und fieberhaft wird nach dem Ausbruchsherd der Seuche durch den „Patient null“ gesucht.

Diese Szenen stammen nicht aus Nachrichtensendungen der letzten Wochen, sondern aus dem Spielfilm „Die Hamburger Krankheit“ von Peter Fleischmann, einem der originellsten Filmemacher des Neuen Deutschen Films der 1970er-Jahre. Er war mit Filmen wie „Das Unheil“ oder „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“ oft seiner Zeit voraus, und auch als „Die Hamburger Krankheit“1979 in die Kinos kam, war dies kein Erfolg an den Kinokassen. Aber heute ist er so aktuell wie sonst kaum ein anderes Kunstwerk und man kann man sich nur darüber wundern, wie visionär diese Geschichte von einer Seuche ist, die alle Menschen im Land existenziell bedroht und verändert.

In Hamburg nimmt die Epidemie ihren Anfang, und ausgerechnet auf einem Ärztekongress zum Thema „Verlängerung des Lebens“ stirbt ein alter Professor an der geheimnisvollen Krankheit. Einer seiner Kollegen berührt ihn, um erste Hilfe zu leisten, und wird isoliert. Zusammen mit einem jungen Mädchen, einem Würstchenverkäufer und einem renitenten Rollschulfahrer bricht dieser junge Wissenschaftler, der von Helmut Griem gespielt wird, aus der Quarantäne aus und begibt sich auf eine chaotische Reise: zuerst in die Lüneburger Heide und dann weiter durch das Land bis in die bayrischen Alpen.

Auf der Fahrt bleiben neben der bundesdeutschen Normalität auch die Regeln des dramaturgischen Erzählens auf der Strecke, denn Peter Fleischmann hatte seine Mitautoren Roland Topor und Otto Jägersberg dazu ermuntert, sich möglichst absurde und extreme Szenarien auszudenken. So geht es in „Die Hamburger Krankheit“ ziemlich holterdiepolter durch die Handlung. Doch auch Unplausibilitäten wie die Verwandlung des Würstchenverkäufers in einen profitgeilen „Seuchengewinnler“ in wenigen Tagen stören kaum weiter. Denn die Vision von einer alle Verhältnisse umwerfenden Krankheit wurde hier radikal zu Ende gedacht und ist deshalb zugleich gnadenlos und hellsichtig.

Fleischmann inszeniert absurde Spektakel, in denen etwa ein Panzerfahrer in der Lüneburger Heide Amok läuft oder eine Menschenmenge in Fulda entsetzt auf die Nachricht vom Tod des Bundeskanzlers reagiert. Das große Finale ist schließlich eine Travestie des „Heidi-Mythos“, bei der ein naives junges Mädchen zum Großvater auf die Alm kommt, um dort aus einem Hubschrauber heraus von einem Einsatzkommando in Schutzanzügen gefangengenommen und in die Quarantäne verschleppt zu werden. In der nächsten Zeit wird sich wohl kaum ein(e) KünstlerIn trauen, so anarchistisch, grotesk und komisch von dem zu erzählen, was uns allen gerade zustößt.

Die Hamburger Krankheit“, R: Peter Fleischmann, D: Helmut Griem, Fernando Arrabal, Carline Seiser u. a., BRD/F 1979, 117 Min.

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