: Der Fall Sarkuhi
■ Verschollener Schriftsteller taucht im Iran wieder auf
Faradsch Sarkuhi ist in wieder in Teheran aufgetaucht, meldet eine Nachrichtenagentur. Er habe sich, so heißt die Meldung vom Freitag, 17.07 Uhr, aus „familiären, nicht aus politischen“ Gründen in Deutschland aufgehalten. Hier aber gilt der regimekritische Schriftsteller seit 50 Tagen als verschollen. Seine Frau hatte die berechtigte Befürchtung, ihr Mann könne als „Verhandlungsmasse“ für den „Mykonos“- Prozeß festgehalten werden.
„Ich möchte die Medien sensibilisieren“, schrieb sie in ihrem offenen Brief an den Bundeskanzler. Und wir haben uns sensibilisieren lassen. Die taz druckte das Schreiben auf ihrer ersten Seite ab. Amnesty international, PEN, Reporter ohne Grenzen und diverse Bundestagsabgeordnete haben sich Sarkuhis Schicksals angenommen. In offenen Briefen, Berichten und Leitartikeln verlangten sie von der Teheraner Führung Aufklärung und Rückendeckung durch die westlichen Regierungen. Offensichtlich nicht ohne Erfolg.
Die iranische Regierung hat reagiert. Sie präsentierte gestern einer Reihe von Journalisten am Teheraner Flughafen den vermeintlichen Gefangenen als etwas eigenwilligen Touristen. Die publizistische „Menschenrechtsmaschine“ stand plötzlich still. Sie scheint seit gestern, 17.07 Uhr, leerzulaufen. Was übrigbleibt, sind Zweifel. Man kann sie nach Belieben in verschiedene Richtungen lenken: Hat der iranische Geheimdienst Sarkuhi präpariert, um dessen westliche Helfer der Lächerlichkeit preiszugeben? Oder ist der iranische Intellektuelle wirklich nur „ganz privat“ unterwegs gewesen?
Wir können derzeit keine dieser Fragen beantworten. Uns ist für einen Moment unsere Sicherheit im Umgang mit der Welt abhanden gekommen. Morgen schon könnte die (Nachrichten-) Lage wieder eindeutiger sein. Man wird den Kollegen der dpa auftreiben, der Sarkuhi gesehen haben soll. Man wird recherchieren, ob der Aufgetauchte die Arbeit an seiner Zeitung wiederaufnimmt – oder wieder im Nichts verschwindet. Der Fall Sarkuhi wird uns noch eine Weile beschäftigen. Höchstwahrscheinlich wird es schon am Montag nicht falsch gewesen sein, für den Verfolgten gekämpft zu haben. Nur gestern um 17.07 Uhr mußten wir für einen Moment die Luft anhalten. Aber lange geht so was natürlich nicht. Klaudia Brunst, H.-J. Tenhagen
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