piwik no script img

Der Fall Humaninsulin Hoechst

Letzten Freitag gab die hessische Landesregierung grünes Licht für den Weiterbau der ersten gentechnischen Großanlage bei Hoechst / Vorteile von gentechnisch ezeugtem Humaninsulin sind „nicht relevant“ / Wie die Einstiegsdroge auf den Markt gedrückt werden soll / Bald juristische Auseinandersetzung  ■  Von Martin Thurau

In Frankfurt am Main zeichnet sich die erste juristische Auseinandersetzung um die Gentechnik ab. Die Genehmigung einer Großanlage des Hoechst-Konzerns, in der mit gentechnisch veränderten Bakterien Humaninsulin hergestellt werden soll, wird bald die Gerichte beschäftigen.

Nachdem die hessische Landesregierung am Freitag bekanntgab, daß die HoechstAG weiterbauen dürfe und die Widersprüche der Bürgerinitiative „Schnüffler un Maagucker“ sowie 350 weiterer Einzelpersonen vom Regierungspräsidium Darmstadt zurückgewiesen wurden, bleibt den Gegnern der Anlage nur noch der kostspielige Gang vor das Verwaltungsgericht.

Die Zeit drängt, denn für den Weiterbau wurde Sofortvollzug angeordnet. „Handstreichartig“, so Chris Boppel von den Grünen in Hessen, soll jetzt die umstrittene Anlage durchgesetzt werden. Allen Beteiligten ist klar, daß es in dem Rechtsstreit um mehr gehen wird als um einige Jahrestonnen Roh-Insulin. Unbestritten ist, daß das Hormon der bundesdeutschen Chemieindustrie als Einstiegsdroge in die großtechnische Verwertung der Gentechnik dient. Nach ähnlichen Verfahren ließen sich mittelfristig weitere medizinische Wirkstoffe herstellen. Die „Schnüffler“ sprechen demgegenüber der Anlage die notwendige technische Sicherheit ab.

Die Bürgerinitiativler stützen sich dabei im wesentlichen auf Untersuchungen des Freiburger Öko-Instituts, das schon in einer Studie für Hessens damaligen Umweltminister Joschka Fischer im Herbst 1986 zu einer ähnlichen Beurteilung gentechnischer Sicherheitsstandards gekommen war. Kritik ruft auch das Vorgehen der Behörden hervor, die der Fall „Humaninsulin Hoechst“ schon seit vier Jahren beschäftigt.

War das Kernstück der Anlage, ein 60.000-Liter-Bioreaktor, für die Aufzucht der Bakterien („Fermtec“ im Werksjargon) schon im Frühjahr 1985 auf mittlerer Verwaltungsebene in einem „vereinfachten Verfahren“ ohne jede Beteiligung der Öffentlichkeit genehmigt worden, so erreichte die HoechstAG mit ihrem Versuch, ein öffentliches Verfahren auch für den zweiten Anlagenteil „Chemtec“ zu umgehen, eher das Gegenteil. Fast zwei Jahre dauerte es bis zu einer ersten Genehmigung im September 1987. Weder das zuständige Regierungspräsidium Darmstadt noch der hessische Umweltminister, der Grüne Joschka Fischer, waren bereit, der HoechstAG mit ihrer dubiosen Genehmigungspraxis zu folgen. Hoechst sah in dem zweiten Anlagenteil eine bloße „Änderung“ des ersten oder einen „Anlagenversuch“.

Erst Fischers Amtsnachfolger Karl-Heinz Weimar gab dem Konzern grünes Licht für einen auf zwei Jahre befristeten Versuchsbetrieb. Neben der Befürchtung, daß damit vollendete Tatsachen für einen Dauerbetrieb geschaffen worden seien, bezweifeln die Rechtsanwälte der BI, ob der Bundesimmissionsschutz angesichts der Risiken der Gentechnik überhaupt eine Rechtsgrundlage für die Genehmigung abgeben könne. In dem Widerspruchsverfahren hatten die Anwälte der HoechstAG nach Ansicht der „Schnüffler“ Schwierigkeiten, das für den Sofortvollzug wesentliche „besondere öffentliche Interesse“ am Produkt Humaninsulin nachzuweisen. Kaum anders sei es zu erklären, daß sie fünf Monate gebraucht hätten, um den ihnen so dringlichen Antrag auf Sofortvollzug zu begründen.

Gegenwärtig werden in der BRD die herkömmlichen Schweineinsulin-Präparate zunehmend gegen „Human„-Insuline aus chemisch veränderten Schweineinsulinen oder aus gentechnischer Herstellung des US-Konzerns Eli Lilly ersetzt. Schon jetzt werden insgesamt zwei Drittel der insulinabhängigen Diabetiker mit Humanpräparaten behandelt, ein weit höherer Prozentsatz als nach Ansicht vieler Fachleute gerechtfertigt erscheint. So konstatierten die Ärzte und Apotheker der Arzneimittelinformation Berlin, Herausgeber der in Ärztekreisen weitverbreiteten Zeitschrift 'arznei-telegramm‘, in einem Schreiben an die Bürgerinitiative, daß „die Vorteile von Humaninsulin gegenüber hochgereinigten Schweineinsulinen nur in Ausnahmefällen (z.B. Insulinallergien) relevant sein dürften“.

Das der Industriefeindlichkeit weitgehend unverdächtige Bundesgesundheitsamt sah sich kürzlich genötigt, alle Hersteller von Humaninsulin anzuweisen, auf den Beipackzetteln der Präparate auf die erhöhte Gefahr einer Unterzuckerung hinzuweisen, die in vielen Fällen zur Bewußtlosigkeit führen könne. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Studie der Diabetes-Klinik Bad Bevensen. Über das 'Deutsche Ärzteblatt‘, die Medizinerzeitung der BRD, warnten sie ihre Kollegen davor, „noch mehr Patienten durch unkritische Insulinumstellungen zu schädigen“. Rückendeckung für die Kritiker von der BI, die den therapeutischen Nutzen der Humaninsuline seit langem bestreiten.

Statt dessen werden Humaninsuline eher künstlich in den Markt gedrückt. Eine Variante dieser allgemein üblichen Praxis konnte die Bürgerinitiative mit einem ihr zugespielten Brief des Hoechst-Konzerns an Ärztekollegen belegen. Darin wird unter dem Vorwand der Erkenntnissammlung jede Ein- und Umstellung auf Humaninsulin Hoechst den Ärzten mit fünfzig Mark honoriert. Der ökonomische Gewinn dieser Marktpolitik offenbart sich für die HoechstAG allerdings erst dann, wenn sie das bisherige semisynthetische Herstellungsverfahren für Humaninsulin durch das kostengünstigere gentechnikgestützte ersetzen kann. Daß auch dann wahrscheinlich nicht ein besonderes öffentliches Interesse zumindest an preiswerten Arzneimitteln befriedigt werden wird, legt der Preisvergleich handelsüblicher Präparate nahe: Das bakteriengenetisch hergestellte Produkt des US-Konzerns Eli Lilly ist um etwa zehn Prozent teurer als hochgereinigtes Schweineinsulin.

Doch trotz der „besseren Argumente“ sieht auch der „Schnüffler“ Franz Kirchner eine „politische Entscheidung“ der Genehmigungsbehörde, mit der sich Umweltminister Weimar mit seinem Pro-Gentechnik-Kurs durchsetzt. Das entspricht auch der Linie der Zentral-Kommission für biologische Sicherheit, deren Stellungnahme für den Hoechst-Persilschein mit entscheidend war. Neben vier Gentechnikern aus dem universitären Bereich sitzen in diesem zwölfköpfigen Gremium auch vier Vertreter der Industrie. Einer von ihnen ist Herr Sukatsch von der HoechstAG.

Rechtshilfe-Sonderkonto der Höchster Schnüffler un Maagucker, Konto 100419106, Volksbank Höchst (BLZ 50190300)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen