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Der Dorfklub, der träumen darf

Ein Dorf ohne Bahnhof, aber bald mit Bundesligisten? Wie es die SV 07 Elversberg aus dem Saarland ganz nach oben geschafft hat

Doch keine Dorfidylle? Fans der SV 07 Elversberg ziehen durch das Örtchen Foto: Sebastian Bach/imago

Von Thomas Becker

Wer das Verhältnis zwischen der Sportvereinigung 07 Elversberg und dem 1. FC Saarbrücken verstehen will, muss sich nur mal auf den St. Johanner Markt in Saarbrücken stellen, den belebtesten Platz des Saarlands. Einst sagte über ihn ein Bürgermeister namens Oskar Lafontaine, er sei von der Schmuddelecke zur „guten Stube“ der Landeshauptstadt aufgehübscht worden. Zentraler Treffpunkt in dieser veritablen Ansammlung aus Kneipen, Bars und Restaurants: das Sankt Jott, eine kleine Bar, aber mit gewaltiger Strahlkraft. Verabreden muss man sich in Saarbrücken nicht, man trifft sich am Markt, genauer gesagt: vorm Jott. Zumindest war das seit Ende der 70er Jahre so – bis vor ein paar Jahren ein neuer Mieter einzog, den Kultladen umbenannte und viele Kunden vertrieb. Die Neuen gehören nämlich zum Firmen­imperium von Frank Holzer, dem Boss der SV Elversberg, womit für FCS-Fans klar ist: Do gehn mir nimmeh hin.

Elversberg ist eine ehemalige Bergarbeitersiedlung und Ortsteil der Gemeinde Spiesen-Elversberg mit 7.900 Einwohnern. Dass genau diese sich nach dem 2:2 im Hinspiel der „Dorf-Relegation“ gegen Heidenheim anschickt, Standort eines Fußball­erstligisten zu werden, ist für die knapp 190.000 Bewohner der 16 Kilometer entfernten Landeshauptstadt in etwa so schwer zu verknusen wie eine Niederlage im Elfmeterschießen.

Nur Bundesligist Hoffenheim ist als Teil von Sinsheim mit 3.300 Einwohnern noch dörflicher, hat aber den Milliardär Dietmar Hopp als Geldgeber. Elversbergs Hopp heißt Frank Holzer, geboren in Neunkirchen, der Apothekervater gründet 1974 Ursapharm, vertreibt Augenmedikamente, die es zuvor nur im nahen Frankreich gegeben hat. In seiner Kickerkarriere sah man Holzer jr. als Jugendnationalspieler Mitte der 70er an der Seite von Felix Magath auch drei Jahre das blau-schwarze Dress des FCS tragen. Danach wechselte er zu Braunschweig in die Bundesliga, studierte Pharmazie und stieg in Vaters Firma ein.

In seiner Freizeit gibt er den Trainer, steigt mit Viktoria Hühnerfeld in fünf Jahren dreimal auf, übernimmt 1990 als Präsident und Gelegenheitscoach den verschuldeten Tabellenletzten der Landesliga Nordost, den SV Elversberg. Heute ist Holzer 72 und womöglich bald Aufsichtsratsvorsitzender eines Bundesligisten. Wie konnte es so weit kommen?

Ein Teil des Erfolgsgeheimnisses ist weder zu sehen noch zu hören: Es ist die Ruhe. In Elversberg ist nix los, tote Hose. Die Gemeinde hat nicht mal einen Bahnhof, keinen Rathausbalkon, auf dem man feiern könnte, und lang ist es noch nicht her, dass sich die Kicker vor dem Match im Keller einer benachbarten Kfz-Werkstatt umziehen mussten. Noch heute fahren die Profis zum Training ins benachbarte St. Ing­bert, die Jugend übt in vier weiteren Nachbargemeinden und die Frauenteams in Grosbliederstroff, in Frankreich.

Was ebenfalls fehlt: Medieninteresse. Anders sieht es beim FCS aus, der immerhin Gründungsmitglied der Bundesliga und fünf Jahre erstklassig war, letztmalig 1993. Ergo: Im Gegensatz zum ständig dem vergangenen Ruhm hinterherhechelnden FCS kommt Elversberg dem Ideal des In-Ruhe-arbeiten-­Könnens sehr nahe. Und gearbeitet wird strukturiert und effektiv. Das Leitbild: Gemeinschaftserlebnis, regionale Iden­tifikation, familiäre Nähe, Zielstrebigkeit, Professionalität, Nachhaltigkeit, Eigenständigkeit. Der Kern des Klubs, die Trias Trainer/Sportdirektor/Vorstand, ist seit Jahren unverändert und entsprechend eingespielt.

Vereinspräsident ist mittlerweile Dominik, der Sohn von Frank Holzer, unterstützt von den Cousins Marc und David Strauß, die sich um Verwaltung, Marketing (rosa Fanschals!) und Vertrieb kümmern – ein sehr saarländisches Modell. Im Gegensatz zum ständig vom nächsten Aufstieg fantasierenden FCS, der seit Ende der 90er auf die Schatulle von Sponsor und Klubpräsident Hartmut Ostermann angewiesen ist, hat Elversberg 400 Businesspartner und damit fast den kompletten Mittelstand des Saarlands an der Seite.

Ein Teil des Erfolgsgeheimnisses ist weder zu sehen noch zu hören: Es ist die Ruhe

Sogar eine Partnerschaft mit dem FC Bayern gibt es: Seit 2017 ist Bayern-Fan Holzers in 80 Ländern aktives Unternehmen (350 Millionen Euro Umsatz) der sogenannte Eye-Care-Partner des Rekordmeisters. Thomas Müller und Manuel Neuer werben für die Augentropfen der Firma, und so erklärt sich auch, warum ein Juwel wie Paul Wanner als Leihspieler ins Saarland geht. Auch Stuttgarts Überflieger Nick Woltemade konnte leihweise nach Elversberg gelockt werden.

Aber wie soll das funktionieren, wenn „Die Elv“ nun tatsächlich aufsteigt? Bürgermeister Bernd Huf hatte vor einem Jahr schon gemeint: „Wir waren für die 3. Liga nicht vorbereitet – und für die 2. Liga auch nicht.“ Holzer und Co haben dagegen längst einen Plan: Nach dem Umbau der Ursapharm-Arena sollen bis zum Jahr 2026 statt 10.000 dann 15.500 Fans reinpassen, ähnlich wenig wie im von 39.000 auf 16.000 Zuschauer Fassungsvermögen geschrumpften Ludwigsparkstadion des FCS in Saarbrücken.

Dort begann am Donnerstag der Vorverkauf für das Relegationsrückspiel in Braunschweig – tags zuvor hatten die ersten Hardcorefans schon vor dem Kassenhäuschen campiert. So weit sind sie in Elversberg noch nicht. Sogar die Deutsche Bahn spottet via Social-Media-Plattform Instagram und zeigt einen einzelnen Zugteil: „Unser Sonderzug für die Relegationsspiele zwischen Heidenheim und Elversberg.“

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