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Der Diktator fürchtet den Rachegeist

Birmas Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi hat ihren gewaltfreien Protest verschärft/ Die Hardliner im Militär, dem langjährigen Diktator Ne Win loyal ergeben, bleiben stur  ■ Von Martin Smith

London (taz) – Nach dreieinhalb Jahren Hausarrest in Rangun hat die birmesische Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi ihren gewaltfreien Protest verschärft. Ihre Ankündigung, sie werde weder Nahrung noch Unterstützung von der Militärjunta akzeptieren, bedeutet, daß sie effektiv in den Hungerstreik tritt.

Ihre knappen Geldmittel „sind jetzt fast aufgebraucht“, hat ihr Mann, der britische Wissenschaftler Michael Aris, kürzlich erklärt. Dem UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte, Professor Yozo Yokoto, verweigerte die Junta in der vergangenen Woche ein Treffen mit Suu Kyi in Rangun.

Das Militärregime, das sich „State Law and Order Restauration Council“ (SLORC) nennt, herrscht seit der blutigen Niederschlagung der demokratischen Proteste und dem Putsch im Jahre 1988 per Kriegsrecht. Bislang haben die Hardliner im Militär, die dem langjährigen Diktator Ne Win loyal ergeben sind, Suu Kyis Forderungen nach einem freien Dialog zwischen Oppositionsgruppen und der Armee stets abgelehnt. Zwar war es 1990 tatsächlich zu Wahlen gekommen, doch als die Partei Suu Kyis, die „National League for Democracy“, einen überwältigenden Erfolg errang, wurde die Auszählung abgebrochen.

Seitdem hat SLORC seine eigene „Kulturrevolution“ begonnen, die von Kritikern als „social engineering“ bezeichnet wird. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden zwangsumgesiedelt. Weitere Millionen wurden gezwungen, als unbezahlte Träger und Arbeitskräfte für die birmesische Armee zu arbeiten. Tausende von Angestellten sind aus dem öffentlichen Dienst entlassen worden.

Die Bedingungen sind besonders hart in den Gebieten der ethnischen Minderheiten, in denen die Kämpfe mit der „Karen National Union“ und anderen bewaffneten Oppositionsgruppen noch andauern. Mehr als 350.000 Menschen sind seit dem Putsch in die Nachbarländer Thailand, Bangladesch, Indien und China geflohen.

Einem Bericht der Menschenrechtsorganisation „Article 19“ zufolge sind seit 1988 Hunderte Studenten und Schüler getötet worden oder verschwunden. Lehrer und Dozenten wurden zu Tausenden entlassen oder in „Umerziehungskurse“ geschickt, wo sie in Uniform gesteckt und zu militärischem Drill gezwungen wurden. In dieser drakonischen Säuberung des Bildungssystems sehen viele BürgerInnen die größte Gefahr für die Zukunft Birmas.

Die 43 Millionen zählende Bevölkerung steht vor einer dramatischen Verschärfung der sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Probleme im ganzen Land. Die ehedem so üppigen Wälder Birmas werden rapide abgeholzt, eine Umweltkatastrophe bahnt sich an. Seit 1988 ist Birma nach Einschätzungen von Experten zum größten Produzenten von Opium und Heroin geworden.

Ebenso erschreckend ist die Verbreitung von Aids. Über 100.000 Menschen sind Schätzungen zufolge schon HIV-infiziert. Und es gibt darüber weder öffentliche Informationen noch Untersuchungen. Aids breitet sich in der Gesellschaft aus – mit erschreckenden Konsequenzen für Birma und seine Nachbarländer. Zunehmend flüchten auch verarmte birmesische Mädchen und Frauen ins Ausland und geraten dort in die Prostitution.

In den vergangenen Wochen haben Diplomaten, die in Rangun stationiert sind, von Anzeichen für eine politische Lockerung berichtet. Ihren Ausgangspunkt hat diese im vergangenen April, als General Than Shwe die Nachfolge von General Saw Maung als Chef der SLORC antrat. Obwohl viele der wichtigsten Oppositionellen immer noch in Haft sind, sind seit April mehr als 750 Gefangene freigekommen. Und die Militärangriffe gegen die Karen National Union sind zum Stillstand gekommen. Die Junta hat einen „Nationalen Konvent“ für den kommenden Monat anberaumt, der die „Prinzipien“ für eine neue Verfassung festlegt.

Suu Kyi jedoch, wichtigstes Symbol der Demokratiebewegung, bleibt zum Hausarrest verdammt. Die Junta hat deutlich gemacht, daß sie will, daß Suu Kyi das Land verläßt. Sie könne auch härter gegen die Oppositionspolitikerin vorgehen, sagte der Juntasprecher Colonel Ye Htut vergangene Woche gegenüber der International Herald Tribune. Nur aufgrund der Tatsache, daß sie die Tochter des Nationalhelden Aung San sei, habe die Junta bislang davon abgesehen, sie vor Gericht zu stellen. Viele Beobachter halten daher den geplanten Verfassungskonvent für nichts anderes als einen weiteren Zug in der Verzögerungstaktik der Generäle.

Tatsächlich findet der wirkliche Kampf in Birma in den Augen vieler BirmesInnen zwischen zwei schwerbewachten Häusern an beiden Enden des Inya-Sees von Rangun statt – und zwischen zwei Personen, die die Öffentlichkeit nie zu sehen bekommt. An dem einen Ende liegt das Haus des 81jährigen Generals Ne Win, der zwar offiziell im Ruhestand ist, tatsächlich jedoch immer noch alle Fäden in der Hand zu halten scheint.

Am anderen Ende lebt die 47jährige Aung San Suu Kyi, Tochter des verstorbenen Unabhängigkeitshelden Aung San. Wie eine rächende Nemesis ist sie nach Birma zurückgekehrt, um die Erinnerung an ihren Vater, den Begründer der modernen birmesischen Armee, wachzurufen – dessen Geist Ne Win in seinen letzten Lebenstagen heimsucht.

Viele, die die Demokratie unterstützen, hatten bislang Trost in dem Gedanken gefunden, daß zumindest die Zeit auf Suu Kyis Seite stand. Mit ihrer Drohung des Hungerstreiks jedoch ist dies möglicherweise nicht mehr der Fall.

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