: Der Delinquent als Privatpatient
■ Hermann Kant & Friedrich Schorlemmer diskutierten im PEN-Club Ost/ Ein Treffen der alten großen Macht mit der kleinen Macht
Berlin (taz) — Rein publikumsmäßig ein Erfolg: Wie immer viel zu viele drängten sich am 14.4. im Vorführraum der literaturWERKstatt Pankow in Ost-Berlin, um einem Gipfeltreffen von Hermann Kant und Friedrich Schorlemmer beizuwohnen.
Wie immer betonten die Veranstalter mit geliehenem Erstaunen, daß der Platz offenbar nicht reiche, man sich aber bemühen wolle, laut und deutlich zu sprechen...
Im Falle Hermann Kants war dieses Versprechen naturgemäß nicht einzulösen: Deutlichkeit ist seine Sache nur, wenn es um andere geht.
Man verzichtete von vornherein auf einen Titel für diese Begegnung: Die Namen und ihre Biographien, meinte der Moderator Dieter Schlenstedt, seien Thema genug. Die beiden männlichen Vertreter der alten großen und kleinen Macht gerieten persönlich erst im letzten Herbst an- und aufeinander, und zwar durch den veranstaltenden PEN-Club Ost: Kant hatte gegen eine Aufnahme Schorlemmers in den Kreis der Erlauchten mit der Begründung argumentiert, dieser habe ihn gemeinsam mit Honecker, Mielke und von Schnitzler vor ein „Tribunal“ zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte stellen wollen. Die Einsicht in den nicht unerheblichen Schaden, den er dem PEN damit bereitet hatte, ließ Kant kurz darauf seinen Austritt aus dem PEN erklären.
Schorlemmer, der Pfarrer aus Wittenberg— noch immer nicht Mitglied des PEN— kam dann auch gleich auf die „Tribunal“-Idee zu sprechen: Es sei den TrägerInnen dieses Vorhabens nicht um Vorverurteilung gegangen (wie Kant annehme), sondern um einen regelgeleiteten Diskurs, der zu Urteilen kommen soll.
Im übrigen verstünde er die Ablehnung Kants zur Teilnahme an einem solchen „Tribunal“ besser, wenn der ehemalige Vorsitzende des Schriftstellerverbands der DDR diese nicht mit Erinnerung an die McCarthy- Zeit verknüpfe, sondern mit Erinnerung an eben jenes Schriftsteller-Ausschluß-Tribunal, dem Kant 1979 vorsaß.
So hätte es weitergehen können, und der Abend wäre nicht nur numerisch gerechtfertigt gewesen.
Aber der kluge Kant sorgte mit der milden und den Narzißmus seines Gegners treffenden Eingangsbemerkung, Schorlemmer sei ja „auch ein literarischer Mensch“, für eben jenes falsche Einverständnis, das alle Veranstaltungen mit ihm bestimmt: Er wird befragt und damit in der alten Macht bestätigt, er gibt nicht Rechenschaft, sondern Auskunft, er spricht von den Verhältnissen, wo er „ich“ sagen sollte, und von sich selbst als Autor, wo er als Funktionär gehandelt hat.
Hin und wieder ging ein Ruck durch Friedrich Schorlemmer, und er erinnerte sich laut daran, in wessen Vertretung er Kant gegenübersaß: „Literatur ist Differenzierung“, sagte der Autor des Abspann, „schauen Sie sich meine Bücher an.“ „Ich schaue mir Ihre Opfer an“, gab Schorlemmer zurück. — So lange die Opfer selber aber sich weigern, mit und gegen Hermann Kant zu sprechen, wird sich an der gewohnten Asymmetrie nichts ändern.
Diskurse dieser Art zielen auf Einsicht von Individuen. Kant ist noch immer Funktionär. Elke Schmitter
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