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Der Coyote will unser Land

Eine neue lateinamerikanische Dichtung in indigenen Sprachen  ■ Von Gordon Brotherstone

Nach der Invasion von jenseits des Meeres hat die sogenannte „Neue Welt“ Schlimmstes erlitten: Innerhalb nur weniger Jahrhunderte sind ihre ursprünglichen Bewohner, seit Jahrtausenden ansässig und mehrere Millionen zählend, zu einem marginalen, wenn nicht gleich gänzlich vernachlässigten Faktor im Leben dieses Kontinents geworden. Die Bildungssysteme der modernen Nationalstaaten Lateinamerikas erlauben den wenigen Überlebenden der indigenen Völker keinerlei Kenntnis ihrer eigenen Geschichte; Literatur, Gesetz und Philosophie haben alle erst mit Kolumbus begonnen.

Der Dichter César Vallejo schrieb 1927 davon, daß der westliche Imperialismus China alles genommen habe außer seinem Land und seinen Menschen und fragte, ob in seinem heimatlichen Peru eines Tages selbst das Land und die Menschen nicht mehr sein werden.

Die 1992 mit großem Pomp gefeierten „500 Jahre Lateinamerika“ haben, auch wenn das nicht intendiert war, dem Bewußtsein dieser Problematik neuerlich zum Durchbruch verholfen, nicht zuletzt bei den indigenen Völkern selbst. Im Juli 1990 trafen sich die Repräsentanten von über 100 Völkern in Quito (Ecuador) zu einer Konferenz des Kontinents, die einberufen worden war von der Indigenous Alliance of the Americas, um miteinander über die Erfahrungen dieser letzten 500 Jahre zu sprechen. Man einigte sich am Ende auf eine Acht-Punkte-Deklaration, deren Präambel besagt: „(Wir) haben unseren Kampf gegen Unterdrückung, Diskriminierung und Ausbeutung, wie sie uns durch den Einfall der Europäer in das Land unserer Ahnen auferlegt wurde, nie aufgegeben.“

Ihr Anliegen ging über die Formung einer politischen Allianz hinaus, und Einmütigkeit stellte sich nicht nur über das Thema Landraub her, sondern vor allem über die Kategorie des Überlebens der menschlichen Gattung selbst. Artikel drei und sechs der Quito- Deklaration beziehen sich auf eine allen gemeinsame Auffassung von der Erde als Mutter und einer Lebensphilosophie, die explizit alle natürlichen Ressourcen schützt – in scharfem Gegensatz zum internationalen Kapitalismus, der für ihren Mißbrauch verantwortlich ist. Ebenso wurde herausgearbeitet, daß in den amerikanischen „Dritte Welt“-Ländern die „nationalen Gesetzesstrukturen ... Resultat des Neokolonialismus“ seien (Artikel acht). Dieses Wiederaufleben hat seine politischen – und seine literarischen Folgen. Als Simon Ortiz über seine Identität als Acoma sprach, sagte er: „Das heißt manchmal offener bewaffneter Kampf, wie ihn zur Zeit die Indianer in Mittel- und Südamerika kämpfen, mit denen wir uns solidarisieren müssen; oft heißt es, innerhalb der Gesetze um Gesetze zu kämpfen, und dann ist da noch das Gebiet der Literatur.“ Diese Auffassung ist ähnlich der des Brasilianers Márcio Souza, der vom literarischen Engagement als „Countermassaker“ gesprochen hat; darin dient die indigene Sprache und Geschichte selbst als Quelle im Kampf gegen die physische und intellektuelle Gewalt des Neokolonialismus. In Chile hat es kürzlich eine literarische Renaissance der Mapuche gegeben, angeführt von Sebastian Queupul, Martin Alonqueo, Elicura Chihuailaf, Vistorio Pranao (und anderen, die in der literarischen Reihe „Küme dungu“ in Zusammenarbeit mit der Universität von Temuco veröffentlicht wurden) und vor allem Leonel Lienlaf, dessen Gedichtband „Nepey ni günun piuke“ (Der Vogel meines Herzens ist erwacht) 1989 erschien.

Für Lienlaf dient der Berg Threngthreng, der die Menschen vor der Flut gerettet hat, immer noch als Schutzversprechen, wenn man ihn vom Meer aus sieht (Ül pu challwafe“ (Lied in einem Boot); und in Temuco, einer Stadt südlich von Santiago und im Herzen des Mapuche-Gebiets, erinnert ein anderer Berg, Nielol, an die nicht sehr lang vergangenen Zeiten, als noch keines der Häuser hier im westlichen Stil gebaut war.

In „Chol kin Munguey“ (Sie zogen ihm die Haut vom Rücken) jedoch bedrohen die durch die gewaltsame Invasion des späten 19. Jahrhunderts auf beiden Seiten der Anden geschlagenen Wunden selbst den Gedanken an eine indigene Kontinuität.

In einem weiteren Gedicht, „Rupamum“ (Schritte) wird das spanische Vokabular als Bedeutungsträger von Unterdrückung (Kreuz, Schwert) so eingeführt, daß es den Mapuche-Text durch gewaltsame Bilder verletzt.

Angesichts einer neuen Invasion in Peru, in einem Bürgerkrieg, der sich aus jahrhundertelangem Rassismus gegen sie entzündet hat, beziehen sich die Quechua als Dichter, Musiker und Mitglieder von Theatergruppen wie „Yuyachkani“ auf eine reiche Tradition. Bevorzugte Liedform ist der „wayno“ geworden, der bis auf die Zeit des Inkahofes zurückgeht. Der politische Führer Lio Quintanilla wählte den „wayno“, um 1972 die Rückgabe von geraubtem Land in Andahuaylas zu feiern. Und Eusebio benutzte die Form des „wayno“ zum Protest gegen die „sinchi“-Polizei, deren gesprenkelte grüne Uniformen sie als arrogante Papageien erscheinen lassen, die wie eine Plage in Häuser und Felder eindringen, und ruft in seiner Heimatstadt Huamanga (Ayacucho) zum Widerstand auf.

Ein „wayno“ von beträchtlicher Kraft ist „Viva la patria“ von Carlos Falconi; hier werden, ähnlich wie in Lienlafs „Rupamum“ spanische Wörter – diesmal ins Quechua einbrechend – auf eine Weise gebraucht, die sie gleichzeitig dekonstruieren und letztlich derart verunglimpfen, daß das besagte „patria“ als brutale Heuchelei erscheint, als unbegreifliche und beleidigende Zumutung für alle, die weder Spanisch noch weiß sind.

Die Problematik rassischen Konflikts und die Frage nach der Identität innerhalb des Nationalstaats taucht auch in Mexiko wieder auf, wo moderne Autoren immer noch – oder wieder – in Nahuatl schreiben, der Sprache, die an den Höfen von Tenochtitlana und Texcoco gesprochen wurde. Ihre Wiederbelebung mag nicht mehr beinhalten, als die Ästhetik und Philosophie der „Blumenlieder“ (xochi-cuicate), also der genuinen Nahuatl-Dichtung, zu benutzen; so zum Beispiel ist Natalio Hernández Hernández' Gedicht „Ncolhua cuitate“ (Die Sänger unserer Ahnen) ein zartes Echo auf die zweiteiligen „Cantares mexicanos“, wie sie aus Manuskripten des 16. Jahrhunderts bekannt sind, und evoziert damit wieder die alte Fähigkeit, „zu sagen und zu wissen“, „zu sprechen und zu singen“.

Oder man nimmt, wie in einem Gedicht von Fausto Hernández Hernández, eine traditionelle Weise wie das „Waisenlied“ (icno- cuicatl), um damit die zeitgenössische Not der Kinder und Familien im nahuatlsprachigen Veracruz auszudrücken, die von ihren zur Migration in die nächstgrößere Stadt gezwungenen Eltern verlassen wurden. Der Titel „Tototl“ (Zugvogel) kann sich auf beide Geschlechter beziehen – und tatsächlich haben Frauen einen großen Teil dieser Last getragen, indem sie weggegangen sind und Geld verdient haben in der Hoffnung, den Zurückgebliebenen am Ende damit helfen zu können.

Arbeiten von Dzul Poot, Paulino Yama und anderen modernen Maya-Autoren aus Yucaton setzen eine literarische Tradition fort, die als Bekräftigung der Maya- Identität sich bis zu den Hyroglyphentexten der Städte der klassischen Periode vor 1.500 Jahren zurückverfolgen läßt. In den harten Auseinandersetzungen von Chiapas schreibt Petu' Krus in Tzotzil- Maya über ihr Überleben als Frau, während Rigoberta Manchú im benachbarten Guatemala in ihrer Autobiographie zeigt, daß die eigene Kultur weiterexistieren kann durch die Kosmogenie und den Glauben, wie er im Klassiker ihrer Sprache (Quiche-Maya) aus dem 16. Jahrhundert in der „Popol vuh“ ausgedrückt wurde.

Neben Nahuatl und Maya werden gleichzeitig auch andere mittelamerikanische Sprachen wie Zapotec und Otomi (Nahnu), die zu der uralten otomanguanischen Sprachfamilie zählen, durch Texte im lateinischen Alphabet bekannter. Ein Beispiel ist die gefühlvolle Ode in Otomi von Thaayrohyadi Bermudez („Tsi Mehkitee Lerma“) an den „Vaterfluß“ Lerma, in der jegliche Verschmutzung, ob politisch oder kosmisch, beklagt wird, und die als Preisung der alten Wassergötter schließlich zu einer ökologischen Botschaft findet.

Ein entscheidender Faktor ist in diesen Beispielen in Mapuche, Quechua, Nahuatl, Maya und Otomi das Prinzip der Kontinuität, der gewußten Geschichte, deren Anfänge weit vor Kolumbus liegen und die letzten Endes untrennbar verbunden ist mit der weiteren Geschichte aller Zeitalter oder „Sonnen“, wie sie die „Popol vuh“ nennt. Ausdauer und Widerstand der indigenen Amerikaner angesichts derart massiver Vernichtungswut zeigt, daß ihre geistigen Grundlagen überlebensfähig und pragmatisch sind. Wie uns die Quito-Deklaration sagt, liegen ihre Quellen in der Kosmogonie, in der uralten und doch so modern anmutenden Erzählung davon, wie die Erde gemacht wurde und wird und wie wir als Gattung in ihr leben.

Gordon Brotherstone ist Professor für Spanisch und Portugiesisch an der Universität von Indiania in Bloomington sowie Inhaber einer Forschungsstelle im Literaturfachbereich der Essex-University in England

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