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Archiv-Artikel

Der Charme des Boxers

Besuch beim unumstrittenen Herrscher Tschetscheniens: Ramsan Kadyrow, mit dreißig Jahren Thronfolger seines ermordeten Vaters geworden, lädt sich Schönheitsköniginnen auf seinen Landsitz ein. Eine will er sich sofort kaufen – denn im Harem ist noch Platz

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

„Nach Grosny, Tschetschenien?“, fragte Miss Lettland ungläubig. Regina Locmele-Lunova aus Riga traute ihren Ohren nicht, als sie von der kleinen Programmänderung mit Stippvisite ins kaukasische Krisengebiet erfuhr. Eigentlich sollten die Teilnehmerinnen des Miss-World-2007-Wettbewerbs von Moskau nach Sotschi ans Schwarze Meer fliegen. Die blonde Lettin mit russischer Mutter und lettischem Vater spricht fließend Russisch und ist in Riga Chefin einer eigenen Security-Firma. Sie wusste, was und wer sie in der Krisenregion erwarten würde. Schwieriger hatten es die Kandidatinnen aus Mittel- und Südamerika, sie brauchten etwas länger, bis klar wurde, wohin die Reise geht. Miss Guatemala hatte sich offenbar schon bei der Geografie Russlands ein wenig vertan. Strumpflos balancierte die hoch gewachsene Guatemaltekin bei minus 21 Grad in hohen Pumps lächelnd über den vereisten Schnee.

Ein Sicherheitsproblem

„Drei Tage werden die Schönheiten in Tschetschenien bleiben“, teilte der Pressedienst des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow mit. Man freue sich ganz besonders, dass die Teilnehmerinnen des Schönheitswettbewerbs für verheiratete Frauen die Republik „auf eigenen Wunsch“ besuchten. Davon konnte eigentlich nicht die Rede sein. Und die geplanten drei Tage schrumpften schließlich auf einen Tag zusammen. Die Machogesellschaft wirkt wie elektrisiert, aber ohne die sonst unvermeidliche kaukasische Galanterie. Nicht die Anmut der Frauen sorgt für Aufregung, eher deren Sicherheit treibt den bis an die Zähne bewaffneten Recken Schweiß auf die Stirn.

Seit dem Tod des Terroristen Schamil Bassajew im vergangenen Sommer ist es in Tschetschenien zwar etwas ruhiger geworden. Laut Grosnenski Rabotschi gingen 2006 im Vergleich zu den Vorjahren Verbrechen mit terroristischem Hintergrund auf ein Viertel zurück. Auch die gewöhnliche Kriminalität hätte um ein Drittel abgenommen, berichtete die Tageszeitung. Dennoch ist die Republik nicht endgültig befriedet. An der Straße vom Flughafen in der Nachbarrepublik Inguschetien nach Grosny stehen auf den ersten 30 Kilometern alle hundert Meter bewaffnete Posten, die die weite Ebene des Vorgebirges im Blick halten.

Das russische Militär ist weg

Ramsan Kadyrow hatte versprochen, seine Einheiten bis auf den letzten Mann zu mobilisieren. 16.000 Bewaffnete sollen im Einsatz gewesen sein, hieß es gerüchteweise. Russische Militärs sind unterdessen aus dem Straßenbild verschwunden, sie haben sich in die Kasernen zurückgezogen. Der 30-jährige Alleinherrscher hütet die genaue Stärke der ihm unterstellten Truppen wie ein Staatsgeheimnis und lässt sich auch von Moskau nicht in die Karten gucken. Menschenrechtsgruppen werfen Spezialeinheiten des Präsidenten vor, Grauen und Schrecken zu verbreiten. So genannte Todesschwadronen sollen Mord und Menschenhandel zu verantworten haben. Täter wurden nie überführt. Aber auch diese Verbrechen sollen in letzter Zeit zurückgegangen sein.

Nervosität liegt in der Luft. Programm und Fahrtrouten der Damendelegation werden aus Sicherheitsgründen ständig verändert. Die Kranzniederlegung am Denkmal des 2004 ermordeten moskautreuen Präsidenten Achmad Kadyrow, dessen Nachfolge Sohn Ramsan vor kurzem antrat, stellt die Sicherheitskräfte vor eine Herausforderung. Am Rande der gähnenden Freifläche am Kadyrow-Boulevard stehen noch unzählige Kriegsruinen, direkt gegenüber liegt die unübersichtliche Baustelle einer Moschee, die eines Tages die größte im nördlichen Kaukasus sein wird. Ohne die TV-Aufnahme vor dem Monument wäre der Damenbesuch propagandistisch nicht sinnvoll genutzt: Die legitime Erbfolge und das Vertrauen der Welt in die Friedensleistung sollen dem eigenen Volk und ein wenig auch Moskau demonstriert werden, das dem eigenwilligen Thronfolger brav aus der Hand frisst.

Ramsan Kadyrow waltete in der Republik schon als Regierungschef wie ein Sultan. Als der Interimspräsident Alu Alchanow im Februar vor den Auswüchsen eines Personenkults warnte, zwang ihn Ramsan kurzerhand zum vorzeitigen Rücktritt. Erst kappte er die Telefonleitungen und den Internetzugang, dann ließ er Alchanow die unerfreuliche Botschaft vom Kremlchef Wladimir Putin persönlich überbringen. Moskau setzt auf den jungen Kadyrow, fürchtet aber dessen Unberechenbarkeit und unstillbaren Machthunger, meint ein mitgereister Geheimdienstler. Im Streit um die Ölreserven der Republik stellt sich Ramsan offen gegen Moskau. 49 Prozent der heimischen Firma Grosneftegas gehören der Republik, 51 Prozent hält der staatliche russische Ölproduzent Rosneft, auf dessen Anteil Ramsan es abgesehen hat. Die zusätzlichen Einnahmen würden den Haushalt der Republik fast vollständig decken. „Nur der Duft des Geldes kommt in Tschetschenien an“, meint Ramsan. Moskau zögert indes. Auch der Potentat zeigt keine Eile. Schlitzohrig meint Kadyrow, der kaum Russisch sprach, als ihn der Tod des Vaters zufällig an die Spitze der Republik katapultierte: Eigentlich bestünde kein Bedarf für einen gesonderten Vertrag. Die Verfassung regle das schon. Moskau sieht das anders und ist ratlos, wie es mit dem hoch dekorierten „Helden Russlands“ verfahren soll.

Nur der Duft des Geldes

Überlässt es dem Clan die restlichen 50 Prozent, verliert es den wichtigsten, vielleicht letzten und einzigen Hebel. Tschetschenien würde wirtschaftlich unabhängig. Dies könnte die Saat einer neuen Separatismusbewegung sein. Der Illusion, ein tschetschenischer Überläufer wie Ramsan mutiere zu einem russischen Patrioten, der das Hohelied der Zentralmacht anstimmt, gibt sich selbst der Kreml nicht hin. Der Tschetschene spielt mit, solange es für ihn und seinen Clan von Vorteil ist. Die rigorose Sippenpolitik, die von den Futtertrögen fernhält, wer nicht zum Clan gehört, wirft neue Gräben auf. Kadyrow amnestierte ehemalige Separatisten und nahm sie in die eigenen Sicherheitsstrukturen auf. Jene Tschetschenen, die traditionell zu Moskau hielten, gerieten unterdessen ins Abseits. Heute stehen sie in Opposition zum herrschenden Clan und damit ungewollt auch zum Kreml, der ihn stützt. Das neue Konfliktpotenzial ist mit einem Langzeitzünder ausgestattet. Solange Putin im Kreml regiert, wird nichts geschehen. Doch nur das Vertrauen des Kremlchefs verleiht dem Potentaten einen Hauch von Legitimität. Ruhigstellung bedeutet noch nicht dauerhaften Frieden.

Das neue Grosny

Gleichwohl sammelt Ramsan beim kriegsmüden Volk Punkte. Das Leben in Grosny wird langsam erträglicher. „Wir haben zwar nichts zu melden, aber können wieder leben“, meint die Kioskbesitzerin Sarema in Grosny. Vielen sehen es so. Der Wiederaufbau macht Fortschritte, nicht nur im Zentrum. Wohnsiedlungen an Grosnys zentraler Achse, dem Achmad-Kadyrow-Boulevard, früher Lenin-Prospekt, sind ansehnlich wieder hergerichtet worden. Bis Ende 2007, spätestens 2008, plant Ramsan, ein neues Grosny aus dem Boden zu stampfen. Wie es einmal aussehen soll, ist einem aufwändigen Doppelbildband mit Entwürfen zu entnehmen. Stadtplaner Ramsan posiert inmitten einer Gesellschaft von Architekten „aus dem In- und Ausland“.

Früher haftete dem Thronfolger das Image eines provinziellen Tölpels an. Nach und nach befreite er sich davon. Gönner in Moskau ernannten ihr gar zum Mitglied einer naturwissenschaftlichen Akademie, nebenher erwarb er noch ein juristisches Diplom der Universität Machatschkala in Dagestan. Landauf, landab sorgte dies für Spott. Bislang ist es aber Ramsan, der zuletzt lacht.

Auch die meisten Damen sind dem Charme des leidenschaftlichen Boxers erlegen. Kadyrow empfängt die Missen in der neuen Residenz in der Nähe von Gudermes, einem Latifundium in den sanften Hügeln des kaukasischen Vorgebirges, das wie ein Hochsicherheitstrakt bewacht wird. Er wirkt eher ein bisschen schüchtern und bescheiden, die stöckelnden Frauen überragen den Untersetzten um Kopfeslängen. „Charisma wie Putin hat er“, sagt die lettische Sicherheitsexpertin Regina, „Ramsan hat sich einiges vom Kremlchef abgeschaut“. Auch die Kühle aus dem Norden scheint schwach zu werden. An diesem Nachmittag tauscht Kadyrow den obligatorischen Trainingsanzug gegen einen knallengen Zweireiher, dem er längst entwachsen ist. Die stramme Kluft ist so etwas wie ein Einheitsdress der jungen Männer mit Ambitionen im Kaukasus.

Turteln ohne Dolmetscher

Ramsan fühlt sich im Kreis der Schönen pudelwohl und scherzt. Eine Königin hat es ihm besonders angetan. Caroline Varcake aus Kenia, die rassige Schwarze mit Volumen, dem Schönheitsideal des Kaukasus nicht fremd, geht auf die Avancen des Sultans neckisch ein. Gerne würde der sie in Tschetschenien behalten. Turteln ohne Dolmetscher. Im Harem ist noch ein Platz frei. Ramsan lebt nach dem Koran polygam. Als Beweis ernster Absichten lässt er Carolines „Besitzer“, dem amerikanischen Organisator des Schönheitswettbewerbs, eine weiße Ziege und einen Hahn überbringen, Symbole für Familienglück, Wohlstand – und der Kaufpreis. Die Mädels sind begeistert. Caroline fällt der Abschied schwer. Auf dem Wettbewerb in Sotschi bitten die Damen den galanten Gastgeber schließlich, doch die Leitung der Jury zu übernehmen.

Caroline siegte in Gudermes, in Sotschi holt die US-Amerikanerin Diane Tucker die Krone der Miss 2007. Das Spektakel ist perfekt, das Unternehmen gelungen, Ramsan ein Meister der Reality Show. Der frisch gekrönte Präsident ist der wahre Sieger.