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■ Der CDU bleibt gar nichts anderes übrig, als in den gedämpften Jubel von Volker Rühe einzustimmen. Aber der designierte Parteichefkandidat Rühe stürmt weiter nach vorne wie eine frisierte Dampfwalze. Dass Generalsekretärin Angela Merkel und nicht er Darling der christdemokratischen Basis ist, stört ihn nicht weiter.Ruft mich, ruft Rühe, aberes ruft nicht

Diesmal trifft zu, was in der Politik oft behauptet wird und selten stimmt: Das Rennen für den Parteivorsitz ist offen

Alles ist relativ toll. Einen „auch erfolgreichen Wahlkampf“ habe die CDU in Schleswig-Holstein geführt, sagt der scheidende Parteivorsitzende Wolfgang Schäuble in Berlin. Der gescheiterte Spitzenkandidat Volker Rühe nennt den Wahlausgang „eine Stabilisierung der CDU in einer existenziellen Krise“. Das Ergebnis mache „Mut, dass wir ganz aus dieser Krise herauskommen“. Generalsekretärin Angela Merkel hält sich auf der Pressekonferenz zurück. Die Frage, wer künftig den Vorsitz der Partei innehaben wird, möchten alle derzeit ohnehin nicht diskutieren. Bloß nicht. Noch nicht.

Für Volker Rühe hätte es sehr viel schlimmer kommen können. Selten war einem Verlierer die Erleichterung so deutlich ins Gesicht geschrieben wie ihm. Bis vor wenigen Wochen drohte ihm ein schweres Schicksal: die Wahl zum neuen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein. Unterrichtsausfall an Grundschulen, die Verkehrsanbindung von Flensburg und Probleme des ländlichen Raumes hätten ihm dann jahrelang auf der Seele brennen müssen.

Mühsam für einen, der sich seit seinen Jugendtagen vor allem für Außenpolitik interessiert hat. „Kiel wäre sicherlich interessanter geworden“, sagt er am Wahlabend und meint: im Falle seines Sieges. Unfreiwillig verrät Rühe damit, wie er die Landeshauptstadt derzeit findet. Langweilig, langweilig, langweilig.

Dank des Finanzskandals seiner Partei ist ihm der Sieg erspart geblieben. Abfällige Äußerungen über viele seiner Mitstreiter in der Provinz lassen ahnen, dass Volker Rühe erst im Wahlkampf den Unterschied zwischen der Planung einer Durststrecke und ihrem Durchleiden in vollem Umfang begriffen hat. Ab sofort will er „Bundespolitiker für Schleswig-Holstein“ sein. Ganz abhaken kann er seine Beziehung zu dem nördlichsten Bundesland nicht, das er einmal regieren wollte. Für die nächste Bundestagswahl braucht der ehemalige Hamburger schließlich einen Wahlkreis.

Zukunftsmusik. Erst einmal ist Freude angesagt. Ziemliche Freude. Das „zweite Wahlziel“ sei „in etwa“ erreicht worden, sagt Rühe am Sonntagabend: eine „relative Stabilisierung“ seiner Partei. „Ich habe mit vollem Risiko meine Person eingesetzt, um den Menschen dieses Ziel zu zeigen: Ihr könnt jetzt helfen, die CDU aus der Krise herauszuholen.“

Ach, darum ist es im Wahlkampf also gegangen. Lange hatte der gescheiterte Spitzenkandidat den Eindruck erweckt, es gehe um die Zukunft von Schleswig-Holstein. Wenn Volker Rühe über seine Ziele spricht, ist er doch immer wieder für eine Überraschung gut.

Den meisten seiner Parteifreunde bleibt kaum etwas anderes übrig, als in den gedämpften Jubel einzustimmen. Immerhin hat Rühe ein Ergebnis erreicht, das angesichts bundesweiter Umfragen über die Popularität der CDU durchaus beachtlich genannt werden kann.

Aber irgend ein Spielverderber findet sich immer. Der Landesvorsitzende Peter Kurt Würzbach, in Rühes Schattenkabinett nicht vertreten, zeigt sich gestern und auch schon auf der Pressekonferenz am Sonntagabend vom Wahlausgang tief enttäuscht.

„Ich teile diese Analyse nicht,“ erklärt Rühe schneidend, ohne den neben ihm sitzenden Parteikollegen eines Blickes zu würdigen. Und teilt dann den Journalisten mit: „Das dürfen Sie schreiben.“ Danke.

Wäre die CDU noch die CDU – die Niederlage müsste den 57-Jährigen tief deprimieren. Er ist zu jung für die Rente und zu alt für eine zweite Chance. Jahrzehntelang war es ehernes Gesetz, dass sich niemand ohne nachweisbare Erfolge in der Landespolitik für höhere Weihen qualifizieren durfte. Aber eine CDU, in der eine Politikerin wie Angela Merkel zur Favoritin für den Parteivorsitz werden kann, ist nicht mehr die alte CDU. Vielleicht wird sie es wieder, vielleicht auch nicht.

Derzeit ist nicht nur die Personalfrage offen, sondern auch der Kurs. Darin liegt die Chance des erfolgreichen Verlierers. In der Krise gelten neue Maßstäbe. Natürlich sagt Rühe nicht, dass er Pateivorsitzender werden will. Aber was soll man machen, wenn man gerufen wird?

Das Problem von Volker Rühe besteht darin, dass nicht allzu viele sehnsüchtig nach ihm rufen. In Schleswig-Holstein haben ihn überproportional viele der über 60-Jährigen gewählt – in einer jugendverliebten Gesellschaft eine nur mäßig gute Empfehlung für einen, der gerne die Zukunft verkörpern will.

Alle Umfragen unter Mitgliedern und Anhängern der Union sehen Generalsekretärin Angela Merkel im Kampf um die Führung weit, weit vorn. Die CSU, die dem Mann aus Norddeutschland gerne den Rücken stärken möchte, darf offiziell nicht mitreden. Natürlich tut sie es doch. Aber es ist für erfolgsverwöhnte bayerische Dynastie noch schwieriger als für andere, eine Niederlage in einen Sieg umzudeuten. So darf sich denn die Generalsekretärin erstmals über freundliche Worte aus den Reihen der Schwesterpartei freuen. Innenminister Günther Beckstein: „Angela Merkel wäre für mich eine gute und attraktive Vorsitzende.“

Heute wird Rühe zunächst einmal als stellvertretender Fraktionsvorsitzender kandidieren. Die Entscheidung darüber, wer den Parteivorsitz übernehmen wird, soll erst in drei Wochen nach Regionalkonferenzen in den Führungsgremien fallen. Er glaube, dass er mit dem Ergebnis der Landtagswahl auch „mit Gewicht“ mithelfen könne, „den richtigen Mann oder die richtige Frau“ dafür zu finden, sagt Rühe. „Ich halte mich strikt an die Regeln bis zum 20. März.“ Wunderschöne Formulierung. Und danach? Sprache ist verräterisch.

Derzeit scheint einmal das zu gelten, was in der Politik so oft behauptet wird und so selten stimmt: Das Rennen ist offen. Gegen Angela Merkel werden vor allem inhaltliche, gegen Volker Rühe vor allem persönliche Bedenken vorgebracht. Alles hinter vorgehaltener Hand, versteht sich.

Dabei ist von beiden eigentlich nicht recht klar, für welche Richtung sie stehen. Derzeit wird Rühe in den eigenen Reihen als Konservativer gehandelt. Es ist noch gar nicht so lange her, dass er als Liberaler galt und gerne darauf hingewiesen hat, dass er zu denjenigen in der CDU gehörte, die für eine Reform des Paragrafen 218 eingetreten sind. Seit die Generalsekretärin für ihre familienpolitischen Ansichten angegriffen wird, spricht er darüber nicht mehr so häufig.

Volker Rühe schlägt auch unter die Gürtellinie, wenn es seiner Sache dient. Kürzlich wurde ihm vorgehalten, er sei als ehemaliger CDU-Generalseketär näher am „System Kohl“ drangewesen als Angela Merkel. Es sei doch die Frage, ob „jemand, der zwei Jahre Generalsekretär war, wie ich, oder jemand, der acht Jahre Kohls Stellvertreterin war, wie Angela Merkel, näher am System war“, hat er geantwortet.

Das ist wahr und falsch zugleich. Er war Verteidigungsminister und in dieser Funktion viel einflussreicher als die Familien-und Umweltministerin Angela Merkel. Anders als sie aber hat er dem Kanzler auch schon Paroli geboten, als das noch nicht opportun war. 1996 stritt er mit Kohl öffentlich über den Wehretat. Der Regierungschef drohte – kaum verhohlen – mit Rühes Ablösung. Der Minister polterte zurück und blieb im Amt. Die nächsten Wochen werden spannend.

Bettina Gaus, Kiel

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