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■ Der Bundesregierung gelang es, die Staatsaffäre Bad Kleinen unter Ausschluß der Öffentlichkeit abzuwickelnBonner Märchenstunde: Ein Abschluß ohne Ende

Manfred Kanther verlangt den Schluß der Debatte, der er seinen Aufstieg auf die Bonner Bühne verdankt. Der unter seiner Federführung verfaßte Abschlußbericht über den für zwei Menschen tödlichen Staatsschutzeinsatz von Bad Kleinen leistet die „rückhaltlose Aufklärung“ nicht einmal im Ansatz, die der Innenminister bei seinem Amtsantritt im Juli letzten Jahres versprach.

Das konnte auch nicht anders sein. Es war dafür schon zu spät, als Rudolf Seiters Manfred Kanther Platz machte. Der Vorgänger hatte das – möglicherweise mehr als das – erkannt und ging. Dem Nachfolger stellten sich, nachdem die wesentlichen Spuren des Feuergefechts am Schweriner See unter tätiger Mithilfe leitender Beamter des BKA beseitigt worden waren, einige grundsätzliche Fragen. Ganz besonders in einem Gemeinwesen, das dem langen Schatten seiner Geschichte eine Generation lang mit demonstrativer Rechtsstaatlichkeit zu entkommen suchte.

Wie geht ein solches Land mit einem außer Rand und Band geratenen Sicherheitsapparat um, der das staatliche Gewaltmonopol bestenfalls mit einem Freibrief zur Vertuschung des eigenen Versagens, schlimmstenfalls mit der Möglichkeit zur Lynchjustiz verwechselt? Wie stellt sich ein solcher Staat der Aufgabe, das Vertrauen einer teils verunsicherten, teils heftig empörten, teils nur noch zynisch resignierten Öffentlichkeit wiederherzustellen, wenn schon auf zweifelsfreie Aufklärung kaum jemand mehr zu hoffen wagt? Sollten sich Manfred Kanther, aber auch Helmut Kohl diese Fragen überhaupt gestellt haben, dann haben sie diese auf die denkbar deprimierendste Weise falsch beantwortet. Der Bundeskanzler klopfte den Jungs von der – vor laufenden Kameras demonstrativ auf die Schultern, als noch nicht einmal feststand, ob in ihrem Kugelhagel nicht beide, Wolfgang Grams und ihr eigener Kollege Michael Newrzella, gestorben waren.

Der Innenminister setzt jetzt mit einer peinlich-psychologisierenden Reinwaschung der vermeintlichen Elitetruppe noch eins drauf. Im letzten Herbst schwieg Kanther unüberhörbar, als das Bundeskriminalamt in einem Anfall ungeheuerlicher Chuzpe den Vorgang selbst und die nachfolgende Staatskrise als Public-Relations-Problem einstufte, das beim nächsten Mal durch professionellere Öffentlichkeitsarbeit gar nicht erst entstehen werde. Gleichzeitig scheute Kanther nicht davor zurück, die Staatsanwaltschaft Schwerin ausdrücklich in ihrer Strategie zu bestärken, den Grams-Eltern den Zugang zu den Ermittlungsakten möglichst lange zu verwehren. Als schließlich das Landgericht Schwerin diese strafprozessuale Selbstverständlichkeit erzwang, hatten die Ermittler die Aktendeckel bereits zugeklappt.

Andererseits übte sich Bonn, soweit bekannt, in strengster rechtsstaatlicher Neutralität, als sich in Schwerin die Wende zur Selbstmordthese im Fall des Wolfgang Grams und die sang- und klanglose Einstellung des Verfahrens gegen die beiden unter Verdacht geratenen GSG-9-Beamten über Monate ankündigte. Die Konsequenz aus den von der Bundesregierung wohlwollend begleiteten Schweriner Ermittlungsversuchen ist in der Tat beeindruckend: Birgit Hogefeld, die nachweislich gefesselt in der Unterführung des Bahnhofs von Bad Kleinen lag, als oben auf dem Bahnsteig der erste Schuß fiel, soll sich nun wegen Mordes an dem GSG-9-Beamten Michael Newrzella verantworten, während die Beamten mit den Nummern 6 und 8 nicht einmal gerichtsöffentlich ihre – von Amts wegen als „teilweise objektiv unrichtig“ eingestuften – Versionen des Einsatzes darlegen müssen.

Doch nicht nur die Politik, auch das Gros der Medien schwankte, nachdem eine dem Anlaß anscheinend angemessene Zahl von Köpfen gerollt war, zwischen lustlosem Überdruß, wohlwollendem Vergessen und staatstragendem Gestus. Daß manche eine Selbstmordbehauptung als intellektuelle Zumutung empfanden (und weiter empfinden), die mit der These steht und fällt, im entscheidenden Moment des tödlichen Schusses hätten Dutzende Beteiligter und Unbeteiligter gerade nicht hingeschaut, wird mehr und mehr als Nestbeschmutzung gewertet. In diesen Zusammenhang gehört auch jener Vorgang am Rande, der die blutig-ernste Angelegenheit im Nachgang immer mal wieder zur miesen Posse degradierte. Von rechtskonservativ bis linksliberal waren sich Journalisten über Monate nicht zu schade, an der „Rehabilitierung“ jenes „Herrn des Verfahrens“ zu stricken, der nach seinem unehrenhaften Abgang, ohne Job, aber mit gepanzerter Limousine, umherreiste, um in peinlichster Weise seinen Rachegelüsten gegenüber der früheren Dienstherrin nachzugehen. Alexander von Stahl war von Sabine Leutheusser eher zu spät als zu früh gefeuert worden, und manche von denen, die später seine Reanimation als Generalbundesanwalt betrieben, hatten ihn Monate zuvor noch heftig dorthin gewünscht, wo der Pfeffer wächst.

Zu von Stahls Anteil an dem Debakel eine kleine Erinnerung, die inzwischen vielerorts (auch im Abschlußbericht der Bundesregierung) dem gnädigen Vergessen anheimgefallen zu sein scheint: Der Generalbundesanwalt hat – um es einmal aus der Perspektive der Terroristenjäger zu bewerten – den Zugriff von Bad Kleinen zu einem Zeitpunkt ausgelöst, als erstens feststand, daß sich der V-Mann Klaus S. von den mutmaßlichen RAF-Mitgliedern noch am selben Nachmittag verabschieden würde, und zweitens bekannt war, daß Grams und Hogefeld sich in den nächsten Stunden wieder am Schließfach in Wismar einfinden würden, wo die RAF-Aktivistin ihre Habe verstaut hatte. Dort hätte die Festnahme wohlvorbereitet und unblutig über die Bühne gehen können, noch dazu ohne den V-Mann zu „verbrennen“. – Aber wen interessieren derartige Nebensächlichkeiten schon, wenn es darum geht, eine Ministerin doch noch aus dem Amt zu katapultieren, die, im Kabinett ohne Gewicht, in ihrer Fraktion ungeliebt, aber als Aushängeschild unverzichtbar, gewankt hatte, doch nicht gefallen war? Bleiben die Ermittler in Schwerin, die möglicherweise am Ende selbst glaubten, was sie dem nun doch etwas verwirrten Publikum als Resultat sechsmonatiger Recherchen eröffneten. Für eine Fremdeinwirkung beim tödlichen Kopfschuß auf Wolfgang Grams gebe es „keine Anhaltspunkte“ – wörtlich: „keine Anhaltspunkte“. Das erklärte der leitende Oberstaatsanwalt Gerrit Schwarz Mitte Januar. Jetzt wiederholt es die Bundesregierung in ihrem Schlußbericht.

Nicht vollkommen auszuschließen ist, daß man am Ende trotz gegenteiliger Zeugenaussagen zu diesem Ergebnis hätte kommen können. Aber die diffizilen Aufklärungsversuche durften nach dieser Vorgeschichte unter gar keinen Umständen allein in einem nichtöffentlichen Ermittlungsverfahren in der Abgeschiedenheit staatsanwaltschaftlicher Amtsstuben erfolgen. Das war der Kardinalfehler der Abwicklung der Staatsaffäre Bad Kleinen – wenn nicht kühl kalkulierte Unterlassung. Unverzichtbar wäre mindestens ein für die Öffentlichkeit nachvollziehbarer Prozeß gewesen, eben vor einem ordentlichen Gericht.

So hätte es laufen müssen. Doch dies hätte den Staat und seinen Apparat mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Anklagebank geschoben. Mit allen Konsequenzen. Vorstellbar, daß die belasteten GSG-9-Beamten am Ende – in dubio pro reo – hätten freigesprochen werden müssen. Schwer vorstellbar, daß auch die Regierung, die das Eigenleben des Apparats sich ungestört entwickeln ließ, so ungeschoren davongekommen wäre, wie es nun der Fall ist. Und gar nicht vorstellbar, daß die GSG 9 diesen Prozeß überlebt hätte.

In aller gebotenen Ausführlichkeit wäre nämlich verhandelt worden, wie die supergeschulten Supermänner nach dem Eindruck der Staatsanwaltschaft „streßbedingt erhebliche Wahrnehmungs- und Erinnerungslücken“ entwickelten, ihren monatelang vorbereiteten Einsatz mit einer „gewissen Kopflosigkeit“ absolvierten und dies alles nachher in langen Märchenstunden schönzureden suchten.

„Es besteht kein Zweifel an der Einsatzbereitschaft und Integrität der GSG 9“. Dieses Resümee der Bundesregierung im Abschlußbericht wäre nach einem öffentlichen Gerichtsverfahren unmöglich geworden. Im besten Fall hätte vor Gericht mehr herauskommen können. Nämlich die Antwort auf die Frage: War es Dilettantismus oder Vertuschung?

Der Staat als Ganzes hätte die Möglichkeit gehabt, in einem schmerzlichen Prozeß Kredit zurückzugewinnen, gerade, aber nicht nur bei denen, die seit Bad Kleinen ihren endgültigen Bruch mit „dem System“ vorbereiten. Daß diese Chance in der Krise nicht er- und begriffen wurde, hat Konsequenzen. Zum Beispiel das „Kommando Wolfgang Grams“. Ort und Zeitpunkt seines Einsatzes stehen möglicherweise schon fest. Gerd Rosenkranz

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