: Der „Bulle“ von Kabul am Ende seiner Macht
■ Nadschibullah hielt zunächst den Sowjets den Rücken frei und überlebte nach deren Abzug als „Reformer“
Kabul/Berlin (ap/taz) — Der jetzt von den eigenen Generälen abgesetzte afghanische Präsident Nadschibullah verstand es über viele Jahre, Anhänger wie Gegner immer wieder zu überraschen. Nach dem Rückzug der sowjetischen Armee im Februar 1989 wurde mehrmals sein Sturz und ein Sieg der muslimischen Rebellen vorausgesagt — alle Prophezeiungen erwiesen sich als voreilig. Erst ein Bündnis der vier wichtigsten Generale mit der militärisch stärksten Rebellenorganisation, der Dschamiat-e-Islami, führte schließlich zum Sturz Nadschibullahs.
„Der von Gott erwählte“, wie sein Name übersetzt heißt, dürfte sein Ende ungewollt selbst eingeleitet haben. Ende März bot er in einer Fernsehansprache seinen Rücktritt an, um die Durchführung des UNO-Plans zu ermöglichen, nach dem eine Übergangsregierung freie Wahlen durchführen sollte. Dieses Einlenken wurde von vielen Militärs als Zeichen der Schwäche interpretiert. Vor allem in den unteren und mittleren Rängen der Armee führte es zu drastischen Zerfallserscheinungen und zu örtlichen Übereinkünften von Militärs mit den muslimischen Guerillas, die mit dem Rücktritt Nadschibullahs nun eines ihrer wichtigsten Ziele erreicht haben.
Mit der sowjetischen Invasion Afghanistans im Dezember 1979 war Nadschibullah zum Chef der Geheimpolizei Khad avanciert. Seine Brutalität brachte ihm damals den Beinamen „der Bulle“ ein. Von diesem Posten beförderten ihn die Sowjets 1986 zum Präsidenten, weil es dem Vorgänger Karmal im Kampf gegen das eigene Volk an Durchsetzungskraft mangelte. Nadschibullah war sich nicht zu schade, die Drecksarbeit zu tun. Mit eiserner Hand hielt er den Sowjets den Rücken frei. Dazu errichtete er ein Terrorregime von stalinistischer Effizienz.
Mit dem Abzug der letzten sowjetischen Militärs im Februar 1989 hielten viele Beobachter seinen Sturz für eine Frage von Wochen. Als Nachlaßverwalter übernahm Nadschibullah einen Krieg, den die Sowjets verloren hatten. Doch „Doktor Nadschib“, wie der studierte Arzt von seinen Anhängern genannt wurde, hielt sich noch drei Jahre auf dem Präsidentenstuhl. In der Zeit machte er seinen stalinistischen Machtapparat durch „Reformen“ international akzeptabler. Innenpolitisch wandelte er sich vom Internationalisten zum glühenden Verehrer des Vaterlandes. Die ehemals sozialistisch-moskautreue „Demokratische Volkspartei“ taufte er in „Vaterlandspartei“ um und verpflichtete sie auf ein islamisches und marktwirtschaftliches Afghanistan. Die Köpfe im Politbüro der Partei blieben jedoch dieselben.
Der 1947 geborene Diplomatensohn, der zu den Privilegierten des Landes zählte, wird von ehemaligen Schulfreunden als gläubiger Muslim beschrieben. Er war aber noch keine 20 Jahre alt, als er der sozialistischen „Demokratischen Volkspartei“ beitrat. Als Student wurde er mehrfach wegen seiner politischen Tätigkeit für kurze Zeit inhaftiert.
Nabschibullah gehört zur Volksgruppe der Paschtunen, die mit rund 40 Prozent den größten Teil der Bevölkerung ausmachen. Von Paschtunen beherrscht ist auch die radikale Khalk-Fraktion innerhalb der regierenden „Vaterlandspartei“. Der als gemäßigter geltenden Parcham-Fraktion gehören überwiegend Dari sprechende Afghanen an. Nadschibullahs Ernennung zum Präsidenten war deshalb auch als Versuch Moskaus gewertet worden, die Paschtunen-Stämme an der Grenze zu Pakistan für den Kampf gegen die islamischen Widerstandskämpfer zu gewinnen. taud
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