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Der Bürokrat der roten Zahlen

■ Günter Mittag, Lenker der „Kommandowirtschaft“ und „zweiter Mann“ der DDR, starb am Freitag in Berlin

Berlin (taz/dpa) – „Es reißt mir das Herz kaputt“, klagte Günter Mittag 1991 im Spiegel-Interview. Er meinte damit nicht das Ende der DDR, das wegen roter Zahlen entscheidend mit sein Werk war. Nein, der schwerkranke frühere Wirtschaftslenker verbreitete seine Nachtgedanken an eine ostdeutsche Krise ohne Wiedervereinigung. Pathetisch freute er sich, daß „Mord und Totschlag, Elend, Hunger“ wie in der sich transformierenden Sowjetunion den neuen Ländern erspart geblieben waren.

Am Freitag ist Günter Mittag in Berlin gestorben. Nicht an gebrochenem Herzen, sondern an den Folgen schwerer Kreislauferkrankungen und Diabetes. Daran litt der 67jährige, an beiden Beinen Amputierte schon seit langem. Zwei Untreueverfahren vor dem Berliner Landgericht gegen das SED-Politbüromitglied waren im Mai 1993 aus gesundheitlichen Gründen eingestellt worden. Von Dezember 1989 bis August 1990 saß Mittag in U-Haft.

Die Schlüsselfigur der DDR- Wirtschaft stilisierte sich bis zum Schluß als schuldlos Gescheiterter, der stets „in der Grundlinie richtig gehandelt“ habe – wenn auch mehr nach dem „Prinzip Hoffnung“, wie er eingestand. Trotz der immer deutlicheren ökonomischen Krise der DDR hatte Mittag bis zuletzt am bürokratischen Konzept der zentralen „Kommandowirtschaft“ festgehalten. Mittag war auch der Architekt der Zusammenfassung der gesamten Industrie in 250 große Kombinate gewesen, die den flexibleren Klein- und Mittelbetrieben den Garaus machte.

Honeckers „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“, eine hohe Konsumgüterproduktion und steigende Rohstoffpreise führten die DDR Anfang der 80er Jahre in eine Konkurssituation. Diese konnte nur mit dem legendären von der CSU eingefädelten Milliardenkredit der BRD kurzfristig abgewendet werden. Statt jedoch auf die Verschuldung zu reagieren, ließ sich Mittag lieber für die „Errungenschaften der Sozialpolitik“ loben.

Ursprünglich war der 1926 in Stettin geborene Arbeitersohn Mittag, der 1951 als Mitarbeiter ins Zentralkomitee (ZK) der SED kam, ein Reformer gewesen. Zusammen mit Ex-Planungschef Erich Apel opponierte er gegen das Stalinsche Zuteilungssystem. Das „Neue ökonomische System“ (NÖS) der beiden setzte dagegen auf mehr Selbständigkeit der Betriebe sowie Leistungs- und Gewinnorientierung. Es sollte ab 1963 die Planwirtschaft entbürokratisieren. Doch Kollege Apel nahm sich Ende 1965 das Leben, als sein Reformwerk zugunsten machtpolitischer Erwägungen verwässert wurde.

Der wendige Günter Mittag jedoch setzte seine Karriere ungebrochen fort. Im September 1966 wurde er Mitglied des SED-Politbüros und ZK-Sekretär für den Bereich Wirtschaft. Mittag überlebte auch den Sturz Ulbrichts 1971, gewann Honeckers Vertrauen und mußte seinen ZK-Posten zwischendurch nur für drei Jahre abgeben. kotte

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