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Der Berliner Wochenkommentar IIHoffentlich die falsche Angst

Der zukünftige Volksbühnenintendant Chris Dercon und sein Team stellen ihre neue Programmatik vor. Unsere Autorin macht sich so ihre Gedanken.

Chris Dercon, neuer Intendant der Volksbühne, spricht über die Inhalte seiner ersten Spielzeit

E ine Programmvorschau und der Wind dreht sich? Nein, so leicht ist das nicht.

Am vergangenen Dienstag haben der zukünftige Volksbühnenintendant Chris Dercon und sein Leitungsteam im Flughafen Tempelhof erzählt, mit welchen Choreografen, Regisseuren und Performern sie in die nächste Spielzeit starten werden. Auf viele der Künstler, wie Boris Charmatz, Susanne Kennedy, Mette Ingvartsen, Romuald Karmakar, Tino Sehgal kann ich mich freuen, ihr Blick auf das Theater, ihre freundlichen Einladungen an das Publikum interessieren mich schon seit Längerem.

Trotzdem ist mir auch bange, ob das gut geht mit Dercon und der Volksbühne. Nicht so sehr, weil sie mit etwas „Neuem“ beginnen, und von dem bisherigen Theater dort nichts mehr stattfinden wird und weil auch keiner der da lange beheimateten Regisseure, René Pollesch, Herbert Fritsch, Christoph Marthaler und Frank Castorf, mit dem Team von Dercon zusammenarbeiten will. Sondern mehr aus einem Missbehagen gegenüber den großen Vokabeln, in die Chris Dercon und seine Programmdirektorin Marietta Piekenbrock ihre Pläne einkleiden. Das klingt oft so missionarisch, so als müsse das Berliner Publikum erst an ein Abc des Theaters herangeführt werden, als ob die Übung der Reduktion der künstlerischen Mittel in Berlin noch nicht stattgefunden hätte und als ob Castorf und Co mit einer Art theatralen Völlerei die Empfangskanäle verstopft hätten.

So eine Haltung nimmt man in Berlin übel und verdreht die Augen. Gerade die, die mit Matthias Lilienthals (ehemals Dramaturg der Volksbühne, später am HAU, heute Intendant in München) Wettern gegen die „Kunstkacke“ theatersozialisiert sind. Dabei ist der Clou an der Sache, dass Dercon und Lilienthal oft die gleichen Künstler schätzen, ihre reduzierten Formen, die auch ein Tieferhängen der großen Behauptungen von Kunst meinen. Nur verkauft sie der eine viel schaumiger als der andere.

Dennoch hoffe ich auf eine Überraschung. Dass ich falsch liege. Dass das Liebeswerben um das Berliner Publikum, das in Boris Charmatz’ Eröffnung auf dem Tempelhofer Feld mit einer Choreografie für die unterschiedlichsten Gruppen liegt, aufgehen möge.

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Katrin Bettina Müller
Kulturredakteurin
Geboren 1957 in Köln. Seit Mitte der 80er Jahre Autorin für die taz (über bildende Kunst, Tanz, Theater, Film), seit 2003 Redakteurin. Seit Juni 2023 wieder freie Mitarbeiterin.
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1 Kommentar

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  • Die Art wie Dercon redet ist grässlich aber noch ignoranter wie er lobt: "Die Volksbühne ist für mich immer ein einzigartiges Theater gewesen. ...Die Volksbühne ist immer _ein Begriff_ gewesen".

     

    Wenn ein Volksbankdirektor aus der Provinz so redet, wenn er eine Theatersache mit seinem Haus sponsort, okay. Aber es ist genau der Gentrifikatorensprech, einschließlich dem Lästern über Gentrifizierung, das einen so übel macht. Das ignorante Loben, das den Status betont. Menschen, die die "etwas ein Begriff" ist, gerieren sich im wilden Osten als das, was der "große deutsche Schriftsteller" Karl May "so farbenfroh" als das wahre "Greenhorn" beschrieb.